Berger, Elise

Elisa Berger an Ernst Haeckel, Canstatt-Stuttgart, 1. Oktober 1915

Kgl. Wilhelma.

Cannstatt-Stuttgart.

1 Okt. 1915.

Sehr verehrter lieber Herr Geheimrat!

Was ist nicht Alles geschehen seit wir Ihnen zum letzten Mal schrieben! Wie oft haben wir an Sie gedacht, uns vorgenommen Ihnen Nachricht zu geben ‒ aber zu viel ist inzwischen vorgefallen und so verschoben wir es. Beinahe hätte ich Sie mit Fritz & Verna in Jena aufgesucht; wir hatten dort auf dera Rückreise von Berlin Aufenthalt; da erfuhren wir von dem schmerzlichen Verlust, der Sie kurz vorher getroffen und da wollten wir Sie nicht stören ‒ aber einen stummen Gruss sandten wir Ihnen vom Bahnhof aus!

Doch ich will Ihnen alles genau erzählen, denn dass Sie einen Brief von uns aus Stuttgart von der „Kgl Wilhelma“ aus erhalten, wird Sie überraschen.

Also, am 13ten Februar erschien der junge Hanbury, der kurz zuvor aus England gekommen war, bei meinem Mann & erklärte ihm, wir müssten absolut sofort La Mortola verlassen, & zwar noch vor dem 20ten Febr. || da sie es unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht länger dulden könnten einen Deutschen an der Spitze ihres Gartens zu haben, da „unsere Nationen sich Krieg machten“ & was er nicht offen sagte, der Unterseebootkrieg auf den 18ten Febr. angesagt war! Ausserdem wäre der Krieg zwischen Italien & Deutschland unvermeidlich & seine Mutter wünschte uns aus dem Haus ehe er nach England zurückkehrte! Sie können sich meines Mannes Lage denken ‒ nach 18 jährigem Dienst; nachdem er mit Leib & Seele für das Wohl des Gartens gearbeitet hatte, mit Frau & Kindern so kurz & bündig auf die Strasse gesetzt zu werden.. In 5 Tagen packten wir unsere Sachen, doch weigerte sich die ital. Bahn unsere Kisten anzunehmen, da Privatgüter schon damals nicht mehr nach Deutschland angenommen wurden & so verliessen wir unser schönes Heim & den herrlichen Garten am 21 Febr. Das ganze Dorf heulte & der Abschied von den guten einfachen Menschen wurde uns sehr schwer. Hanburys bezahlten das Gehalt bis Ende des Jahres voilà tout! Unsere Sachen liegen noch alle dort & wer weiss ob wir sie alle je wieder bekommen.

Hanburys haben sich bis zum letzten Augenblick abscheulich benommen & wir können aus vollem Herzen mit einstimmen in den Ruf: „Gott strafe England.“ Zuerst reisten wir nach Karlsruhe, wo wir || von Freunden & von der altenb Grossherzogin Luise herzlich empfangen wurden. In 8 Tagen erhielt mein Mann 7. Angebote, die ganze bot. Welt & Fachgenossen nahm den regsten Anteil an unserm Geschick. König Ferdinand von Bulgarien, dem wie Sie wissen, mein Mann schon im Jahre 1913 seine Dienste angeboten hatte, telegraphierte & lud ihn ein auf seine Kosten zu einer Besprechung nach Sofia zu kommen, Prof. Rachner aus Hohenheim, schrieb ihm, dass hier eine geeignete Stelle für ihn offen sei & so hatten wir die Wahl. Zuerst musste sich mein Mann zur Musterung melden & wurde als 44 Jähriger noch als garnisionsdienstfähig vorgemerkt. Nach vieler Mühe erhielt er die Erlaubnis zur Reise nach Bulgarien & vorerst war er hier beim Oberhofmarschall, der ihm die Stelle als Vorstand des Kgl. Gartenamts mit dem ellenlangen Titel eines Kgl würt. Oberhofgarteninspektors anbot. Da mein Mann als Soldat nicht ans Ausland denken durfte beschloss er nach Sofia zu reisen, dem König zu erklären, dass er jetzt unmöglich in seine Dienste treten könne & dann die Stelle in Stuttgart anzunehmen. Er reiste nun nach Bulgarien über Rumänien, da die serbische Grenze gesperrt war & wurde als Gast seiner Majestät im Kgl. Schloss in Sofia untergebracht und von sämmtlichen Mitgliedern der Kgl. Familie freundlichst empfangen. || Da es dem König sehr daran gelegen war meinen Mann die neue bulgarische Südküste zu zeigen, wo er sich ‒ wenn einst der Friede wieder in Europa einkehrt ‒ einen bot. Garten gründen möchte, schickte er den Prinzen Cyrill mit meinem Mann, im Hofzug, mit grossem Gefolge, eigenen Köchen, 2 Autos, Salonwagen & allem möglichen Comfort nach Neu Bulgarien Dedeagatsch Xanthi, Porto Lagos, Makry, Maronia etc. wurden besucht, Cavallerie begleitete sie im Gebirge, Soldaten ebneten die Strassen für die Autos, die mehrmals in den überschwemmten Gegenden stecken blieben, kurzum es war eine herrliche hochinteressante Reise. Von Dedeagatsch aus hörten sie das Grollen der Geschütze bei den Dardanellen & sahen selbst das Feuer & der Prinz konnte vom Leuchtturm aus die Schiffe sehen. Es ging via Adrianopelc durch die jetzt abgetretene Zone & mein Mann sah im Bahnhof gewaltige Menge von Stacheldraht, der für unsere „Friends“ die Englänger & Franzosen bestimmt war. Auch sehr „lahme“ engl. Dreadnoughts im Hafen von Dedeagatsch. Sofort nach seiner Rückkehr meldete er sich beim hiesigen Oberhofmarschallamt & am 27ten April erfolgte seine Ernennung & jetzt ist er Kgld Würt. Beamter!!

Ja, das hätten wir uns nie gedacht & doch haben wir allen Grund dankbar zu sein, dass es uns vergönnt war so rasch ein neues Heim zu finden.. Während der Abwesenheit || meines Mannes in Sofia war ich mit Fritz & Verna bei einem Freunde von Prof. Schweinfurth in Berlin auf Besuch. Wir wohnten in nächster Woche [!] von Prof. Strasburger’s Tochter, Frau v. Tobold, die wir häufig sahen.. Es geht ihr gut. Der Sohn von Geh. Strasburger ist seit Kriegsbeginn als Stabsarzt im Feld. Herr v. Tobold leitet die ganze Centrale in Berlin & ist unermüdlich. Prof. Schweinfurth geht es sehr gut. Er weiss jetzt aber nicht wo er den Winter verbringen soll. Vergangenen Winter war er in Bozen, aber die Militärbehörden geben dieses Jahr keine Erlaubnis.. Fritz & Verna gehen fleissig in die Schule, lernen jetzt deutsch lesen & schreiben & sind sehr patriotisch angehaucht!! Sie haben sich rascher als die Alten an die neue Umgebung gewöhnt. Nur finden sie es sehr seltsam, dass die Bäume jetzt alle die Blätter verlieren & die Palmen eingeräumt werden mussten. Die Stellung hier ist wie geschaffen für meinen Mann, d. h. sie ist schlechtbezahlt, aber in anderer Hinsicht äusserst angenehm. Die Hofgärtner sind sämmtlich sehr erfahrene ältere Herren, die schriftlichen Arbeiten, Zahlungen, Akten & (derer giebt es viele) erledigen ein Rechnungsrat nebst Sekretär. Mein Mann hat nur die Oberleitung & nur den Oberhofmarschall als Vorgesetzten. Dieser ist ein sehr netter Herr & ist das Verhältnis ein angenehmes. Hier in Schwaben geht alles gemütlich zu. Wir wohnen in dem Wilhelma Park in einem kleinen einfachen Haus, das für uns neu hergerichtet worden ist. || Da wir alle Möbel, Wäsche etc. etc. in Mortola haben mussten wir uns eine komplette neue Einrichtung leisten. Meinem Mann fehlen seine Bücher, mir meine Bilder, Teppiche, Silberzeug & was der Dinge mehr sind, die ein Heim gemütlich machen. Unser einziges Bild ist eine Photographie von Prof. Schweinfurth, die er uns zu Pfingsten sandte & Fritz hat ein Bild von Hindenburg. Bitte leisten Sie diesen beiden Herren Gesellschaft & beglücken Sie unser deutsches Haus mit einer Photographie, die andere liegt wohl verpackt in Mortola. Das Buch für das Sie uns die hübsche Skizze schickten & unser Fremdenbuch haben wir glücklicherweise mitgenommen & es war sogar mit in Sofia & hat König Ferdinand auch hinein geschrieben. ‒

In München waren wir öfters mit Herr & Frau Roth zusammen. Herr Roth ist sehr leidend, eine Art Rückenmarkentzündung & wird er nicht alt. Er geht ganz gebückt & ist oft nicht fähig sichd zu bewegen. Was aus der armen Mrs. Stephen geworden ist, kann ich Ihnen nicht sagen.

Aber jetzt, mein lieber Herr Geheimrat, habe ich Ihnen einen sehr langen Brief geschrieben. Hoffentlich ermüdet er Sie nicht. Sie verstehen jetzt warum Sie so lange nichts von uns hörten.

Beim Durchlesen ersehe ich zu meinem Schrecken, dass ich nicht einmal nach Ihrem || Befinden gefragt habe. Hoffentlich geht es Ihnen cosi cosi. Wenn mein Mann auf Besuch zu seinen Eltern fährt wird er Sie besuchen, darauf freut er sich heute schon.

Ich habe unlängst Prof. Ziegler hier kennengelernt & zwar bei der Wittwe von Prof. Klunzinger, der auch ein so grosses Vertrauen & unerschütterlichen Glauben in die sprechenden Pferde & Hunde besass. ‒

Und nun entschuldigen Sie bitte diesen ausführlichen Brief & seien Sie recht herzlich gegrüsst von Ihrer treu ergebenen

Mortoleser Bergerie & besonders

von Ihrer

Elise Berger.

a korr. aus: unserer; b eingef.: alten; c korr. aus: Adriapopel; d eingef.: Kgl

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
01.10.1915
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 7380
ID
7380