Berendt, P...

P. Behrendt an Ernst Haeckel, Halle a. d. Saale, 12. Februar 1908

Halle a/S., 12.2.08

Bertramstr. 25 pt.

Sehr geehrter Herr Professor!

Ich gestatte mir, Sie nachstehend mit einer Bitte zu belästigen und bitte ich schon hier meiner Vermessenheit wegen, – gerade Sie darum anzugehen –, um Verzeihung.

Ich habe vor einiger Zeit, aus mir heraus, weil ich den Drang dazu spürte, ein Theaterstück fertiggestellt, mit dem Titel

Das Leben

und zwar soll es das „Leben der Menschheit“ || vorstellen.

Gleich voraus muß ich erwähnen, daß es ein wissenschaftlich-philosophisches Werk in der von Ihnen gelehrten Weltanschauung sein soll, rein menschlich-natürlich vom Anfang bis zum Ende.

Ich mußte, um überhaupt eine Form, eine Darstellung zu ermöglichen, selbstverständlich zur Allegorie, zur Symbolik und nur ganz wenig zur Mystik greifen.

Wie gesagt, das, was Sie in Ihrem ganzen Leben, in Ihren vielen Büchern lehrten, das sollte auch von der Bühne – in einer besonderen Form – sprechen und || somit als Anschauungslehre wirken.

Und die Idee ist Folgende: bisher hatte man wohl Theaterstücke, die den Character einzelner Personen, ganzer Völker oder einzelner Kasten (Klassen) zeichnete, aber ein Werk, das die ganze Menschheit oder doch einzelne Züge derselben darstellte, hatte man noch nicht. In jeder anderen Kunst, Musik, Malerei, Bildhauerei wurden ähnliche Werke schon geschaffen, wie „Die Lebensorgel“, „Leidenschaft“, „Tod“, „Auferstehung“ etc., nur die Bühne war davon noch frei.

Nun sagte ich mir, || daß in irgend einer Form jede Weltanschauung dargestellt werden könnte und was war natürlicher als darauf zu kommen – für mich – die modernste Weltanschauung: die Natur und Natürlichkeit, darzustellen zu versuchen? Und das, was ich von Ihnen lernte, es steht Alles in meinem Werk „Das Leben“.

Inhalt und Form, nachdem Sie die Tendenz kennen lernten, wie folgt:

1te Teil: Vergangenheit: Geburt der Menschheit (aus dem Tier), Lebensweg, Werden und Wanderung auf dem Lebenspfade, Characterdarstellung des Urmenschen (Mann und Weib || besonders); Leidenschaft, Eitelkeit, Streben beider Geschlechter soll hier getrennt gezeichnet sein, Scenerie: lachendes blühendes Tal,

2/3 Teil: moderne heutige Menschen mit Ueber-Cultur (Satyre oder Lehre auf heutiges Streben und Geistesleben) Zeit: Gegenwart

4 Teil: Zukunft, eisiger kalter Berggipfel, Wanderung der Menschen, Trennen der Geschlechter, Untergang der Menschheit.

Das Ganze soll also ein Menschheitsdrama sein.

Und nun komme ich zu meiner Bitte.

In Ihren Musestunden, || – und Sie werden doch wohl, wie andre Sterbliche auch, solche, wenn auch nur wenige, haben – widmen Sie sich jedenfalls hin und wieder doch irgendwelcher Unterhaltungslectüre, meine Bitte lautet nun, würden Sie wohl die Liebenswürdigkeit haben und „Das Leben“ einmal als solche Lectüre betrachten?

Und dann, aber nur dann, wenn Sie „Das Leben“ als wertvoll nach irgend einer Richtung hin halten, würden Sie wohl die Güte haben, auf den Wert irgend einen Verleger, den Sie auch mir nennen würden, aufmerksam zu machen?

Ich habe mich bisher || ganz allein, meiner Kraft und dem guten Willen vertrauend, durchzusetzen versucht, aber überall bin ich, bei der Tendenz des Stückes, auf Widerstand gestoßen, meine pecuniärena Mittel aber sind auch nicht solche, daß ich darauf Vertrauen haben kann und doch habe ich Hoffnung, daß bei diesem Thema der literarische Wert da sein muß.

Wenn Sie jedoch nur mit wenigen Zeilen auf den Wert aufmerksam machen würden, dann würde ich schon das Weitere selbst veranlassen und Sie können sich darauf verlassen, daß ich Sie in dieser Sache weiter nicht belästigen würde; auch bitte ich nur || dann um diese Empfehlung, wenn Sie von einem bestimmten Wert überzeugt sind.

Ich würde Sie nicht mit diesen Zeilen belästigen, wenn ich mich selbst hätte durchsetzen können, denn schöner ist es schon, zu sagen, alles, was man ist und hat, durch sich selbst errungen zu haben, aber fühlt man seine Ohnmacht bestehenden Gesetzen und Gewalten gegenüber, so lehnt man sich gern an den Stärkeren an und sucht Hilfe dort und deshalb meine Bitte, deshalb diese Zeilen.

Darf ich Ihnen „Das Leben“ als Lectüre mal senden?

Mit aller Hochachtung!

P. Berendt

Halle a/S.,

Bertramstr. 25 pt.

H: EHA Jena, Sign.: A 7336. – 2 Dbl., 14,35 x 22,5 cm, egh. Br., 8 S. beschr., Besitzstempel, Anstreichungen mit blauem Stift, nachträglicher Vermerk Haeckels mit Blaustift auf Seite 1: „B“.

a eingef.: pecuniären

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.02.1908
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7336
ID
7336