Benz, Otto

Otto Benz an Ernst Haeckel, Zürich, 18. Oktober 1909

Schweiz:

Zürich, den 18. Oktober 1909.

Herrn Professor Dr Ernst Haeckel

Jena.

Sehr geehrter Herr Professor:

Vor 14 Tagen bin ich nach zehnjährigem Aufenthalte in Kalifornien, Nordamerika, heimgekommen.

Ich erlaube mir, Ihnen einen Brief von Professor David Starr Jordan an mich, Ihnen in Abschrift zuzusenden, da ich glaube, daß der Inhalt des Briefes Sie interessirt. Da Herr Professor David Starr Jordan mit mir in englischer Sprache korrespondirte, so bin ich so frei, Ihnen den Brief im Original zu kopieren.

Leland Standford junior University

Office of the President

Stanford University Cal.,

July 15, 1904.

Mr Otto Benz

137 South Flower street,

Los Angeles, Cal. ||

Dear Sir:

I find your very interesting letter on my return from the mountains. I feel relieved to know that my „Methodism“ does not rest on any worse basis than the one you mention. I believe that the use of alcohol is almost always harmful, and that even moderate use takes the fine edge off the nervous system. This is true of smoking; and dancing, as usually carried on, has also demoralizing elements. Even at the best, it may be subject to the criticism of the Chicago pork packer: „You will meet fools enough during the day without trying to round up the main herd of them at night.“ As to the theatre, I myself attend good plays whenever I get a chance, and believe in their educational and aesthetic value. Whether the theatre is good or bad, depends on its effects. Vanderville shows and cheap sensationalism are, of course, mischievous, but it is questionable whether all the preachers of our time have done more for our intellectual and moral elevation than Shakespeare, for example.

As to the theological questions in your letter, I believe with Emerson, that it is best for us „not to pretend to know or believe that which we cannot possibly do not actually know or believe.“ ||

It seems to me that Haeckel sometimes violates this principles in denying things about which we can know nothing one way or the other.

As to Botany, I used to use Gremli’s Excursionsflora when I was in Switzerland. It is a very convenient book: but the flora of California is many times greater than that of Switzerland, and much less perfectly known. It has to be studied scientifically first, and the little books of Green, Jepson und Abrams are well adapted for that purpose. For those who can learn flowers only by pictures the book of Miss Buck and Miss Parsons is very excellent. I have just returned from the high Sierras and found Abrams’ book very convenient. Abrams deals only with the region about Los Angeles.

There have been some experiments recentlya made by Professor G. H. Parker of Harvard on the hearing of fishes. No doubt if you shoud write to him he would send you copies of these papers.

Very truly yours

(sig) David Starr Jordan.

Professor Lang Zürich hielt vor Jahren einen Vortrag über „Das Hören der Fische“ im Züricher Rathaus (vide Neue Züricher Zeitung) ungefähr 1900. O. Benz ||

Herr Professor G. H. b Parker of Harvard University schrieb mir am 11 Juli 1905 aus dem Hôtel Frascati Bermudas Insel (englisch) folgendes:

Dear Sir:

Yours of June 7 has been forwarded to our summer laboratory at Bermuda. The only papers on fish hearing I can refer you to are two of my own in the last two volume oft he Bull of U. S. Fish Commission, one by H. B. Bigelow in the Amer. Naturalist of about a year ago (one of my papers was reprinted in Am. Nat. of about two years ago and a paper by Zenneak in Archiv. ges. Physiologie of a year or more ago.

Yours truly

G. H. Parker.

Da ich jahrelang in Nordamerika war, habe ich die wissenschaftlichen Publikationen in deutscher Sprache gar nicht lesen können. Ich mußte mich mit den mangelhaften englischen Übersetzungen, und Publikationen begnügen. Die Doktoren der Medizin in Kalifornien c kannten Professor Kocher, Bern, Billroth, Wien, nicht einmal dem Namen nach. ||

Ich machte einige Doktoren darauf aufmerksam. Sie sagten mir: Wenn Professor Kocher, Bern, und Billroth, Wien, gute Chirurgen wären, so wären ihre Bücher schon längst ins Englische übersetzt worden.

Einige Jahre später fand ich die englische Übersetzung von Billroth’s „Krankenpflege“ im deutschen Hospital als Lecture für die Krankenwärterinnen.

Ihre Bücher:

History of Creation = Schöpfungsgeschichte

Riddle of the Universe = Welträtsel

Wonders of life = Lebenswunder

sind in der größten Bibliothek, westlich vom Missouri, in Los Angeles. (Die Bibliotheken in San Francisco, auch die chinesische Bibliothek, sind abgebrannt.)

Die Chinesen in Nordamerika sind nun auf die chinesische Bibliothek in Canton, China, für Nachforschungen angewiesen.

Außer den drei oben erwähnten Werken wissen die Leute in Los Angeles nicht, was für Bücher Sie geschrieben haben; da dieselben das Brockhaus und Meyer Conversationslexicon (in der Bibliothek) nicht lesen können.

Die Bibliothek (public library), Los Angeles, besitzt 13 0000 Bücher, (etwa 300 deutsche, meistens deutsche Romane. ||

Die Krankenwärterinnen im deutschen Hospital Los Angeles (German Hospital Society) studieren Krankenpflege in englischen Büchern. Machen das Examen in englischer Sprache. Der Hausarzt des deutschen Hospitales in Los Angeles kann weder deutsch noch französisch sprechen, während der Abwart, Portier des deutschen Hospitales in Los Angeles, deutsch, französisch, englisch, italiänisch, spanisch, sprechen konnte.

Los Angeles hat jetzt in 1909d 320 000 Einwohner und 300 Kirchen, beinahe eine Kirche auf 1000 Einwohner und Wahrsagerinnen Palmists, Clairrogants in allen Straßenecken. New York hat nur eine Kirche für je 6000 Einwohner. Die Bücher in der Bibliothek des deutschen Hospitals in Los Angeles sind von englischen Autoren. Strümpel wurde dem Hospital in deutscher Sprache geschenkt.

Die Vorsteherin, Oberwärterin, (Diaconissin), welche die Wärterinnen examinirt sagte mir „You know, I am english“ = Sie wissen, Ich bin englisch (amerikanisch). Sie konnte nicht mangelhaft deutsch sprechen. Ich sagte Ihr: „Und ich bin deutsch.“ Ich gebe keinen Pfennig um eine solche englische medizinische Patentmedizin Wissenschaft. ||

Ich habe vor mir das Buch von Professor Dr Darmstaedter in Göttingen

„Die vereinigten Staaten von Amerika.“ Verlag Quelle und Meyer Leipzig

Es scheint mir, daß er schlecht über die Japanesenfrage unterrichtet ist.

In Los Angeles hatte er eine Unterredung mit einem stumpfsinnigen Zeitungsberichterstatter „der Examiner“, der über Deutschland weniger wußte als ein zehnjähriger deutscher Schüler.

Professor Darmstaedter sagte ihm, daß Deutschland eine staatliche Krankenversicherung habe und daß der ärmste Arbeiter in Deutschland die Woltat [!] derselben genieße.

Darauf sagte der Amerikaner, daß er Sozialist sei, daß er so tapfer die staatliche Krankenversicherung vertheidige.

Nächstens Tages erklärte Herr Profe Darmstaedter im „Examiner“ „Ich bin nicht Sozialist. Ich glaube aber berechtigt zu sein deutsche Staatseinrichtungen als gute zu empfehlen.“

Professor Darmstaedter’s Buch ist eben nur ein Buch eines Touristen in Amerika. Er hat nie seinen Lebensunterhalt in Amerika verdient. Er hat nie als Erwerbender mit den Leuten zusammengelebt. ||

Mit Vergnügen habe ich das Buch von Benjamin Vetter „Die moderne Weltanschauung und der Mensch“ mit einem Vorwort von Ihnen, gelesen. Die Aerzte in Los Angeles kennen den Inhalt dieses Buches noch nicht, weil es noch nicht in’s Englische übersetzt worden ist. Selbst wenn Sie es zufällig gelesen haben, so sprechen Sie nicht darüber, um die ärztliche Praxis bei Kirchenleuten nicht zu gefährden.

Miss Alice Eastwood, (Academy of Sciences) San Francisco, kennt die Flora von Kalifornien am besten, meiner Ansicht nach.

Professor De Vries hielt Vorträge in der kalifornischen Staatsuniversität, Berkeley, über Botanik, mit Miss Elisabeth Palmer (Los Angeles High School) als Assistent. Fräulein Palmer spricht deutsch. Die Pflanzen in der Wüste (desert) fehlen noch in der Flora von Kalifornien. Herr Parrish, San Bernadino, sammelt nun die Wüstenpflanzen. Hypericum perforatum habe ich in, Mendocino Country, Nord Californien gefunden, von Europa eingeschleppt. Capsella Bursa Pastoris findet man überall in Los Angeles, Chelidonium majus nirgends an der Westküste.

Los Angeles hat 53 000 Telephone, am meisten per Kopf, in der Welt.

Professor David Staar [!] Jordan, Leland Stanford junior university Palo Alto ist Professor der Zoologie

Hochachtend

Otto Benz.

26 Gemeindestraße,

Hottingen, Zürich V.

a eingef.: recently; b gestr.: Ho; c gestr.: kom; d eingef.: in 1909; e eingef.: Prof

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
18.10.1909
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7328
ID
7328