Bender, Hedwig

Hedwig Bender an Ernst Haeckel, Eisenach, 26. März 1908

Eisenach 26/3 08.

Emilienstr. 11I.

Hochverehrter Herr Professor!

Wußte ich nicht, daß Ihnen der Sieg der Wahrheit u. einer wahrhaft freien, mit den Ergebnissen der Wissenschaft in Einklang stehenden Weltanschauung eigenste, innerste Herzenssache u. der Kampf gegen alles, was ihn zu hindern bestrebt ist, ganz besonders gegen kirchliche Anmaßung u. Herrschsucht, Bedürfnis, ja ich möchte fast sagen Lebenselement ist, ich würde gewiß den Muth nicht finden, die nachfolgende Anfrage u. Bitte an Sie zu richten. So aber gebe ich mich der Hoffnung hin, bei dem was ich auf dem Herzen habe, Verständnis u. Sympathie bei Ihnen || zu finden. – Ich muß ein Paar persönliche Bemerkungen vorausschicken. Durch die Pflege meiner geliebten Mutter, die lange Zeit ganz hülflos war, bin ich viele Jahre hindurch an jeder wissenschaftlichen Beschäftigung gehindert gewesen, so daß ich erst jetzt daran denken konnte, zua meiner großen philosophischen Arbeit, die eine umfassende erkenntnistheoretische Begründung meiner streng monistischen Weltanschauung bezweckt, zurück zukehren.

Ich hoffe über diese Arbeit, die ich seit lange als mein Lebenswerk betrachtet habe u. deren Fortführung u. hoffentlich glücklicher Vollendung meine nächsten Lebensjahre gewidmet sein werden, einmal mündlich mit Ihnen sprechen zu können. Wir stehen uns in || unseren Grundanschauungen so nahe, obwohl wir von verschiedenen Seiten zu denselben letztenb Ergebnissen gelangt sind, u. das ist etwas so überaus Seltenes in dieser Welt der tausendfachen Meinungsverschiedenheiten, daß ich mich seit länger im Stillen daran erfreut habe. Ich kann Ihnen nicht sagen, mit welchem Vergnügen ich seinerzeit auf dem hiesigen Naturforschertag Ihren Vortrag über Goethe, Darwin u. Lamarck gehört u. später Ihre analogen Ausführungen in Ihrer Natürlichen Schöpfungsgeschichte, Ihrer Generellen Morphologie, Ihren Welträtseln u. s. w. gelesen habe. Auch Ihre Liebe für Goethe ist etwas, was mich immer aufs Neue so besonders sympathisch berührt! – Verzeihen Sie, daß ich Ihnen das alles schreibe – es gehört jac nicht direkt || zur Sache, floß mir aber so unwillkürlich aus der Feder u. wird Ihnen auch vielleicht begreiflich machen, wie ich dazu komme, gerade Sie mit meiner Bitte zu behelligen. Diese selbst betrifft eine kleine Schrift, die zur Propaganda bestimmt ist u. sich gegen den Ultramontanismus richtet – eine Arbeit, die ich großentheils schon vor Jahren (aber mit langen Unterbrechungen) niederschrieb, angeregt durch die Zeit-Ereignisse u. weil mir eben damals die Zeit u. die nöthige Sammlung zu intensiverer wissenschaftlicher Arbeit fehlte. Diese Schrift ist es, für die ich mir Ihre Theilnahme u. wenn möglich Ihre Beihülfe zur Veröffentlichung erbitten möchte. Würden Sie sich vielleicht entschließen können, das Manuskript zu lesen u. mir eventuell, wenn der Inhalt || Ihnen zusagen sollte, durch eine Empfehlung an einen geeigneten Verleger – ich hatte an Emil Strauß in Stuttgart gedacht, weil ich meine, daß die Tendenz wohl in den Rahmen seines Verlages passen würde? – den Weg zu ebnen? – Ich weiß, daß das keine kleine Zumuthung ist für Sie, dessen Zeit so kostbar ist!!! Glauben Sie mir, ich bin mir der Kühnheit dieser Bitte bewußt u. ich habe lange gezögert, ob ich es wagen sollte, sie auszusprechen. Aber ich weiß mir nicht selbst zu helfen, weil es mir gerade für diese Arbeit, die sich vorwiegend auf dem politischen Gebiete bewegt, an allen geeigneten Beziehungen fehlt. Meine Beziehungen in || Verlegerkreise beschränken sich durchaus auf das specifisch philosophische Gebiet. (Da fehlt es mir nicht – schon demnächst wird wieder eine kleine Arbeit von mir – eine Kritik des Kant’schen Erfahrungsbegriffes in der „Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik“ in Halle erscheinen) – Viel Zeit würde Ihnen die Lektüre ja auch nicht kosten – u. ich wage zu hoffen, daß sie Ihnen vielleicht auch etwas Freude machen würde, weil sie in großen Fragen Ihren Anschauungen wohl entsprechen dürfte. – Ich hatte die Arbeit dem „Anti-ultramontanen Kreis-Verband“, der Flugschriften herausgeben will, angeboten, u. Herr von Münchhausen, dem sie zunächst zuging, schrieb mir gleich sehr || lebhaft – ich darf fast sagen begeistert-zustimmend u. ist sehr warm für sie eingetreten. Aber verschiedene Herren des Geschäftsführenden Ausschusses haben Anstoß an einem Theil meiner Ausführungen gewonnen – vor allem daran, daß ich für eine nicht-konfessionelle Volksschule eingetreten bin u. auch die evangelische Orthodoxie u. Kirchenleitung u. die Haltung verschiedener Partheien (in der Frage des Schulkompromisses, der Jesuitenfrage u. s. w.) zum Theil scharf kritisiert habe. Die Herren waren in diesen Fragen theilweise anderer Meinung u. schienen auch zu fürchten, daß es die Wirksamkeit ihres Verbandes beeinträchtigen könne, wenn sie derartig „freie“ Anschauungen mit ihrer || Flagge deckten, u. sie mögen darin ja auch wohl Recht haben. Aber ich mußte doch schreiben, wie ich geschrieben habe u. hätte keine wesentlichen Änderungen vornehmen können. Aber nun habe ich die Arbeit da liegen u. möchte sie gar zu gerne baldd herausgeben – zumal da sie sich theilweise auf Zeitereignisse bezieht, veraltete sie sonst zu sehr. Wenn Sie mir helfen könnten u. wollten, würde ich Ihnen sehr sehr dankbar sein! Und ein empfehlendes Wort von Ihnen würde mir sicherlich jeden Verleger geneigt machen.

Also verzeihen Sie, bitte, meine Kühnheit u. lassen Sie mich freundlichst durch ein Paar Zeilen wissen, ob ich Ihnen die Arbeit zusenden darf?

Immer mit der wärmsten Verehrung

Ihre

Hedwig Bender.

a eingef.: zu; b eingef.: letzten; c eingef.: ja; d eingef.: bald

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
26.03.1908
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7277
ID
7277