Bender, Hedwig

Hedwig Bender an Ernst Haeckel, Eisenach, 30. April 1898

Eisenach 30/4 98.

Kapellenstr. 8.

Hochverehrer Herr Professor!

Hoffentlich zürnen Sie mir nicht, daß ich von Ihrer liebenswürdigen Erlaubnis, Ihre „Generelle Morphologie“ u. die „Festschrift“ bis Anfang Mai behalten zu dürfen, einen so ausgedehnten Gebrauch gemachte habe u. wirklich den letzten Termin herankommen ließ, den Sie mir für die Rücksendung Ihres Eigenthums gestellt hatten. Zu meiner Entschuldigung kann ich nur anführen, daß mich die Lektüre der „Generellen Morphologie“ auf’s Lebhafteste interessiert hat – u. zwar nicht allein die dera Kapitel, die Sie mir bezeichnet hatten, obzwar diese allerdings in erster Reihe – u. daß ich den dringenden Wunsch hatte, mir manches für mich ganz Neue einzuprägen u. mir zur Unterstützung meines Gedächtnisses mancherlei Notizen zu machen, was || doch ziemlich viel Zeit in Anspruch nahm. Auch habe ich mir erlaubt, Ihr Werk auch dem Herrn (unserm Hauswirth) zum Lesen zu geben, dem ich die Bekanntschaft mit Ihrer „Natürlichen Schöpfungsgeschichte“ verdanke, der sich speciell mit der Philosophie der Pflanzen beschäftigt u. der ebenfalls zu Ihren warmen Verehrern gehört. – Empfangen Sie nun noch einmal meinen herzlichsten Dank. Ich kann Ihnen nicht sagen, welche Freude es mir gewesen ist, Ihnen auf Ihrem Gedankengange zu folgen u. mich an der Größe Ihrer Auffassung u. anb der Weite des Ausblicks zu erbauen, den die Höhe, auf die Sie den Leser führen, gewährt. c

Im Geiste sah ich wieder u. wieder meinen alten Freund Spinoza hinter Ihrer stehen, obwohl Sie seiner nirgend ausdrücklich gedenken, ihn, der so vieles vorausgenommen hat, was wir heute mit Hilfe der Naturwissenschaft so vield besser begründen können – u. (füge ich hinzu) auch mit Hilfe einer exakteren Er-||kenntnistheorie. Daß auch Sie in der tieferen u. allseitigeren Begründung der großartigen einheitlichen Weltanschauung, die sich in erster Reihe an den Namen Spinoza’s knüpft, die große wissenschaftliche Aufgabe der Zukunft sehen, der letzten Endes auch alle Einzelforschung zu dienen hat: Das wußte ich freilich schon aus Ihrem „Glaubensbekenntnis eines Naturforschers“ u. aus Ihrem Vortrage über Darwin, Goethe u. Lamarck, den Sie auf der hiesigen Naturforscher-Versammlung gehalten haben. Aber wie sich diese große Aufgabe auf die einzelnen naturwissenschaftlichen Disziplinen vertheilt u. wie sich ihre Durchführung im Einzelnen zu gestalten hat: das ist mir doch erst bei dem Studium Ihrer Morphologie recht klar geworden. Ein specieller Genuß waren mir daneben immer noch Ihre schönen Citate von Goethe, die Sie den einzelnen Kapiteln vorgesetzt haben. Was mir Goethe als praktischer Verkündiger des Alleinheitsgedankens seit vielen Jahren gewesen ist, mögen Sie aus dem Vortrag über Giordano Bruno (in „Westermann’s Mo-||natsheften) ersehen, den ich mir beizufügen erlaube, weil ich mir denke, daß Ihnen, dem überzeugten Anhänger der monistischen Weltanschauung, die Lektüre des kleinen Aufsatzes vielleicht Freude macht. Freilich muß ich Sie bitten, bei der Beurtheilung desselben nicht zu übersehen, daß es sich um einen Vortrag handelt, der für ein größeres (Laien) Publikum bestimmt ware u. auch ursprünglich vor einem solchen gehalten wurde; einen wissenschaftlichen Maßstab dürfen Sie also an die Vorstellung der Brunoschen Lehre nicht legen; auch bitte ich, mich nicht miszuverstehen, wenn ich darin vom frischen „universellen Zwecke“ spreche; nur wir Menschen können selbstverständlich (nach unserer aus eigenthümlichen Beurtheilungsweise) von einem solchen reden in demselben Sinne, in dem wir auch gelegentlich vom „Zufall“ sprechen, während in Wahrheit doch alles in der Welt strenge, kausal belegte Gesetzmäßigkeit ist. – Wie sehr würde ich mich freuen, wenn der Sommer Sie einmal nach Eisenach führte u. ich dann Gelegenheit hätte, Sie einmal persönlich kennen zu lernen!

Nochmals dankend u. herzlich grüßend verbleibe ich in warmer Verehrung

Ihre

Hedwig Bender.

a eingef.: der; b eingef.: an; c unkenntlich gestr.; d eingef.: so viel; e eingef.: war

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
30.04.1898
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7273
ID
7273