Bender, Elli

Elli Bender an Ernst Haeckel, Potsdam, 13. Januar 1916

Sehr geehrter Herr Professor!

Zunächst möchte ich Sie um Entschuldigung bitten, daß ich, als eine Ihnen völlig unbekannte Persönlichkeit an Sie schreibe. Es treibt mich dazu das Gefühl des Dankes, das wohl jeder Mensch Ihnen gegenüber hat, der sich für die monistische Weltanschauung im allgemeinen und für Ihre Werke im besonderen interessiert.

Ich bin noch jung, 20 Jahre, || habe aber von der Zeit, wo ich die Kinderschuhe ausgetreten hatte und anfing Verständnis zu gewinnen für die geistige Welt um mich her, nach der Erkenntnis der Wahrheit mit allen Kräften gestrebt. Zunächst suchte ich sie, wie alle jungen Mädchen, die Konfirmationsunterricht gehabt haben, im christlichen Glauben. Ich fühlte mich restlos glücklich. Bis vor ungefähr ¾ Jahren. Da kamen die Zweifel. Sie kamen so stark, daß ich mich auf einmal vollständig aus dem Geleise geworfen fühlte. Allmählig überwand ich aber || diese „Versuchungen“, wie ich es nannte. Und dann las ich Ihr Buch „Die Welträtsel“. Erst war ich grenzenlos empört und entsetzt. Denn aus meinem christlichen Glauben heraus, empfand ich dies Buch als eine Gotteslästerung. – Und wie hat sich mein Sinn geändert? Ich trage es immer bei mir, wie andere Menschen das Neue Testament. Es ist mir zu meinem liebsten Buch geworden.

Bitte fassen Sie diesen Brief nicht falsch auf. Er ist weiter nichts, als der Ausdruck meines Dankes für Sie, daß ich nun end-||lich ein Stück der Wahrheit erkannt habe. Sie sind so viel angefeindet worden, obwohl Sie sich daraus vielleicht nur wenig oder gar nichts gemacht haben.

Elli Bender.

Potsdam

Neue – Königstr. 90.

13.1.16

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
13.01.1916
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7270
ID
7270