Friedrich Bockelmann an Ernst Haeckel, Rudolstadt, 15. Februar 1911
R. 15 Febr. 1911
Excellenz, lieber Freund!
Meine Tochter und ich senden unserem hochverehrten E. H. die allerherzlichsten Wünsche für Gegenwart u. Zukunft! Möge es Ihnen künftighin erspart bleiben sich gegen die infamen Angriffe der kath. S. J. und Kepler-protest. Jesuiten à la tutti frutti vertheidigen zu müssen; die Abfuhr im Sandalion sollte man meinen hätte gesessen ‒ aber Drachenblut erzeugt stets neue Ungeheuer.
Augenblicklich erfreut mich die Lectüre Ihres leider verstorbenen Freundes Pastor Kalthoff (Bremen): "Volk u. Kunst ‒ Reden u. Aufsätze von Albert K." herausgegeben vom Bremer Goethebund (Roland Verlag H. Boesking in Bremen). ||
H. Boesking in Bremen schriftstellert ebenfalls, ist begeisterter Anhänger von E. H., obgleich ich gen. Herrn nicht persönlich kenne, unterhielten wir lebhafte Correspondenz über monistische Fragen u. Probleme.
Ich fühlte mich in diesem Winter nicht ganz à monaise, mußte daher leider verzichten mir im geliebten Jena geistige Nahrung [zu verschaffen], nach der ich schreie wie die biblischen Frösche nach Wasser.
Daß die Monisten anfangen ritusspielereien (Sonnenwendfeste, 2 im Jahre), Druidenspielerein etc. etc. zu treiben, bedauere ich, tantum religio potuit suadere malorum, ich unterscheide jetzt α Monisten zu denen ich gehöre und β Monisten und ergänze meinen Wahlspruch || Forschung, nicht Dogma in: Forschung, nicht Dogma u. Kultus (oder ritus).
Die gen. Aberrationen sind, so nehme ich an, begründet in menschl. Eitelkeiten, die leicht zu priesterl. Hochmuth führen, wenn die Führer sich auch als Drudien maskiren, auch hier "le premier pas qui coute". Daher Apage! ritus-cultus etc. Unser Wahlspruch bleibe Forschung.
Hoffentlich habe recht bald wieder die Freude meinen langjährigen Lehrer in den von mir gepflegten Wissenschaften und Freund begrüßen zu können, dessen photographisches Bildniß || Zierde meines Studierzimmers ist.
Nochmals herzliche treue Wünsche!
Ihr alter treuer
F. Bockelmann