Ernst Haeckel an Conrad Keller, o.O. [Jena], 16. Januar 1918
16. Januar 1918
Lieber Kollege und hochgeschätzter alter Freund!
In acht Tagen werden Sie in erfreulichster Gesundheit und Rüstigkeit das Fest Ihres 70.Geburtstages begehen; da will ich als einer Ihrer ältesten Lehrer nicht unterlassen, Ihnen schon jetzt meine herzlichsten und aufrichtigsten Glückwünsche zu senden! Über 40 Jahre (oder 45) werden jetzt verflossen sein, seitdem Sie im Botanischen Institut in Jena meine zoologischen Vorträge hörten und mich durch Ihren eifrigen Fleiss besonders erfreuten. Seitdem haben Sie durch Ihre vielen grossen Reisen und deren wissenschaftlichen Resultate – besonders die grundlegenden Studien über Abstammung der Haustiere – sich zu einem der verdientesten Darwinisten und Entwicklungslehrer emporgeschwungen. Es gereicht mir zur besonderen Freude, zu hören, dass Sie in Ihrem neuen Zoologischen Institute an der technischen Hochschule sich der Früchte Ihrer unermüdlichen Anstrengungen voll erfreuen können; und dass ein grosser Kreis von Schülern die neue Gedankenwelt verbreiten hilft, welche durch die gewaltigen Fortschritte der modernen Biologie so viel Licht über unsere Weltanschauung wirft.
Eingedenk der vielen und wertvollen freundschaftlichen Beziehungen, die uns über vier Dezennien eng verbunden haben, wiederhole ich Ihnen meinen herzlichsten Dank für die zahlreichen Beweise Ihrer persönlichen Zuneigung und für die vielfache Förderung unserer gemeinsamen Interessen!
Mit besten Wünschen für einen glücklichen und zufriedenen, von goldener afrikanischer Sonne bestrahlten Lebensabend, bleibe ich stets Ihr getreuer
Ernst Haeckel.