Otto Borngräber an Ernst Haeckel, Schönau, 8. November 1901
z.Z. Schönau b. Berchtesgaden, d. 8. Nov. 1.
Hochverehrter Herr Professor!
Ihren werten Brief, den ich zu Schluß des vorigen Semesters in Halle erhielt, und für den ich bestens danke, erwidere ich erst heut, weil ich Sie weder in der Sommerfrische, noch in den dringenden Arbeiten zu Beginn des neuen Semesters stören wollte.
Es würde mich allerdings freuen, wenn Sie die betr. Herren Professoren der Litteratur nur einmal auf „Bruno“ hinweisen möchten, ohne zunächst die Nobel-Angelegenheit irgend zu erwähnen. Nur für den Fall, || daß dieser oder jener der Herren ein hoffnungerweckendes Urteil fällte, möchte ich Sie bitten, darnach die Nobelfrage in Betracht zu ziehen. Sie müßten aber, bitte, ein Exemplar der 2., vielfach vervollkommneten Auflage vorlegen.* Wollen Sie mir freundlichst mitteilen, ob ich Ihnen zu dem Zweck noch 1 Exemplar schicken darf? –
Ich bin hier – da Sie gewiß daran Interesse nehmen – beim Schaffen einer neuen Tragödie, die den im „Bruno“ präludierten Ideenkreis vertieft, vergrößert und vermenschlicht – id est: die Wirkung liegt weniger im Gedanken als im Geschauten, und hierin hoffe ich, liege ein künstlerischer Fortschritt. Das Milieu ist das hiesige Hochgebirg, und ich fühle, daß nichts mich so befruchte als || die wilde Hochgebirgswelt, in die ich noch jetzt einsame Touren bis zu 2000 m mache. Die Ideen, die Entwickelungen der Individuen, die Handlung und ihre Entwicklung liegen bereits klar vor mir, außerdem ausgeführt Akt I und Akt V.
Sehr hoffe ich, und ich setze voraus, daß Sie durch obige Bitte keine Unannehmlichkeit haben, und daß Sie meinen Gedanken an die Nobelstiftung nicht als Vermessenheit auffassen. Ich sagte bereits, daß es ursprünglich nicht mein Gedanke ist, daß mich critici darauf verwiesen. Thatsache ist, daß ferner die Comödie des sehr jugendlichen Franzosen Aussicht hat, und daß meine künstlerischen Intentionen sich sehr mit denen des schwedischen Ästhetikers Tegnér decken. – Nehmen Sie meinen ergebenen Gruß und Dank!
Ihr dankergebener
Otto Borngräber.
Adr.: Schönau b. Berchtesgaden.
* Vielleicht wäre es gut, wenn Sie den betr. Herren auch die Berichte über die gute Aufnahme in Leipzig und über die glänzende in Halle vorlegten, in Gestalt des Prospekts, den ich, auf Ihren Wunsch, gern auch nochmals schicken würde.a
a Fußnote auf S. 2: Vielleicht … würde.