Otto Borngräber an Ernst Haeckel, Stendal, 12. Mai 1900
Stendal, Jacobikirchhof 10, d. 12. Mai 1900
Hochgeehrter Herr Professor!
Nehmen Sie meinen herzlichen Dank für die freundlichst zugesagte weitere Verwendung, sowie für die Adresse der Meininger Hoheiten. Ich fühle mich verpflichtet, Ihrem werten Beispiele folgend, ihnen auch ein Dankexemplar zu übersenden. – Heut erfreut mich überdies Herr Weiser mit der Nachricht, daß er bereits 15 Mitglieder der Weimarer Bühne für die Aufführung gewann, und daß er bereits die Arbeit der Rollenverteilung zur Hälfte hinter sich hat. Wir hoffen || wirklich das Beste. – Zu dieser Hoffnung berechtigt mich auch ein prächtiges Anerkennungsschreiben unseres vielleicht größten Dramenästhetikers Prof. Heinrich Bulthaupt, das er mir zugehen ließ. Ich teile Ihnen dies in aller Kürze mit, weil ich glaube, daß es Ihnen im Interesse der Ihnen gewidmeten Tragödie hohe Freude machen wird. Bulthaupt nimmt einzig Anstoß an der zu großen Verherrlichung Brunos und seiner Anschauung – ob durch die eigene Weltanschauung beeinträchtigt? – Abgesehen von einzelnen notwendigen Schwächen, die das Drama mit allen Denkerdramen teilt, scheint er ihm einen beträchtlichen litterarischen Wert beizumessen, || und was mich am meisten wundert, der ich alleinig mich auf dem heroisch-idealistischen Standpunkte mich glaubte, – er will auch „große Begabung für realistische Figuren“ erblicken, – „den Hauptwert des Ganzen aber in dem dichterischen Gedankenschwung, den zahlreichen Feinheiten des Dialogs und der Idee und dem Plan des Werkes.“ Von den Massenscenen namentlich hofft er bei guter Ausführung die größte Wirkung. – Doch genug hiervon; ich möchte Ihre kostbare Zeit nicht länger beanspruchen und wollte Ihnen nur durch diese Nachricht eine Freude machen, wie mir das Urteil dieses ebenso nüchternen Kritikers wie weitsichtigen Dramaturgen eine solche war.||
Nehmen Sie meine herzlichsten Grüße! und nochmals meinen Dank!
Ihr
dankergebener
Otto Borngräber.