Otto Borngräber an Ernst Haeckel, Halle, 28. März 1900
Halle a.S., Luckengasse 6, d. 28. März 1900
Hochgeehrter Herr Prof.!
Heute entdecke ich etwas diesbezügliches in der Saale-Zeitung, dem bedeutendsten Blatt von Halle u. Umgegend. Ich schicke Ihnen sofort das Exemplar. Diese Beurteilung kann Ihnen ja nur Freude machen. Wenn Sie es für gut halten, will ich übrigens gern selbst einmal einen kleinen Passus einschicken, sobald es meine Kräfte gestatten. Doch geht es mir heute schon erheblich besser.||
Gestern schrieb mir der Redakteur der „Deutschena Hochschulzeitung“ Herr Scheidemantel, ein Ihnen von Grund aus zugethaner Herr, er möchte Ihnen in den nächsten Tagen seinen Besuch abstatten. Jedenfalls wird er Ihnen über seine Unternehmungen bez. Aufführung des „Bruno“ berichten. Ich habe ihm geschrieben, Sie wären jedenfalls von Donnerstag ab 8–10 Tage nicht in Jena, sondern in Leipzig und Berlin. So wird er nun wohl die Gelegenheit in Leipzig wahrnehmen und Sie dort aufsuchen. Vielleicht gewähren Sie ihm geneigtest eine kurze Audienz! Er wird Sie allerdings auch wohl mit einer Bitte || bestürmen; er möchte Sie dafür gewinnen, daß Sie doch sich noch einmal für uns bei Herrn Stägemann [!] verwenden möchten, daß er uns statt des Alten das Neue Theater gebe. wir wollen es ihm gern mit ca. 600 M bezahlen. Staegemann hat bisher keine Neigung gezeigt, es uns so ohne weiteres freizugeben. Was er für Gründe hat, weiß ich nicht. Er soll geäußert haben: er selbst habe deshalb sich nicht zur Selbstaufführung entschließen können, weil verschiedene Stadträte ihm die Aufführung eines derartig freisinnigen Stückes sehr verübelt hätten, und deshalb die verschiedensten Ausflüchte gesucht. Jenaer Grund träfe ja aber für die bloße Hergabe des Theaters nicht zu; es ist ja doch in dieser Hinsicht gleich, ob er uns das Neue oder das Alte giebt; das Prinzip || wäre doch durchbrochen. – Scheidemantel schrieb mir gestern: Wenn uns Stägemann das Neue Theater nicht läßt, so sehen wir der Aufführungsmöglichkeit schweren Herzens entgegen, desgl. einige Schauspieler; während andererseits die Tiefe des Neuen Theaters vortrefflich zu den alpinen und italischen Scenen passen würde. – Ich muß offen gestehen, die Leipziger Organisatoren sind etwas stolz. Sie wollen nach Dekoration wie nach Künstlern etwas Exquisites, etwas vom 1. Range bieten. mit einer mäßigen Aufführung sind sie unzufrieden, wollen nichts davon wissen. Und ich muß ja allerdings gestehen, daß andrerseits auch das Stück im Neuen Theater ganz anders wirken würde als im alten mit seiner dürftigen Dekoration. Schon aus diesem Grunde möchte ich auch Sie bitten, wenn es Ihnen möglich, Herrn Scheidemantels Bitte zu willfahren. Auch einer der Schauspieler schreibt mir || heut: „Das Publikum kommt dem Stück entschieden mit mehr Vertrauen entgegen, wenn dasselbe im Neuen Theater die Premiere erlebt. Wir müssen daher alles in Bewegung setzen um Staegemann zur Hergabe des Neuen Theaters zu bestimmen. Wir sind vielleicht aufgeschmissen, wenn wir im Alten oder Carola Theater zu spielen gezwungen sind.“ Das klingt für mich freilich sehr unerwartet und bitter. Wenn es auch meine Meinung ist, daß das Stück auch im Alten Theater zur Geltung kommen würde, (wenn freilich auch weit schwächer) was soll || man anfangen, wenn die Herren sich dann zu spielen weigern? oder die Hauptorganisatoren von ihrer Thätigkeit abtreten? nachdem man nun endlich schon so weit ist? Freilich, wenn das Stück durch die schlechte Dekoration des Alten Theaters durchfiele, so wäre es für alle Zeiten tot; wenn es aber durch die prachtvolle des Neuen einen guten Erfolg erringt, so ist es für die Zukunft gerettet. Und deshalb mögen diese Herren mit ihrer für mich sehr grausamen Entweder-oder-theorie vielleicht auch das Beste des Stückes im Auge haben.
Nun ist es ja offengestanden eine || große Zumuthung von uns, daß Sie die wenigen kurzen Tage Ihres Aufenthaltes in Leipzig noch durch eine neue Unterredung mit Herrn Staegemann verkürzen sollen. Aber Sie müssen sich damit trösten, daß Ihnen auch im Falle des Sieges der erste Lorbeer zufällt, daß nicht nur meine Wenigkeit, sondern die ganze Studentenschaft und auch der dankbare Teil des Publikums dankvoll zu Ihnen aufblicken. – Und der Fall des Sieges ist ja greifbar naheliegend. Staegemann wird Ihnen nicht widerstehen können, zumal wenn Sie ihm sagten, daß auch die Hallenser Professoren der Philosophie hinter der Sache stünden. Und – || Staegemann ist Ihnen etwas schuldig! Er hatte Ihnen (wie auch mir Weihnachten) große Hoffnung gemacht, daß er sogar selbst das Stück annehmen wolle. Er hat die Hoffnung arg getäuscht. Aber diesen kleinen Gefallen wird er zu sehr Gentleman sein, als daß er Ihnen ihn nicht thäte. Seit heut steht die Sache plötzlich so: Entweder das Neue Theater oder die Sache zerfällt vielleicht (an dem Starrsinn Staegemanns oder der andern). Es wäre mir das schon vor Herrn Strauß furchtbar fatal; da ich ihm noch vor einer Woche schreiben konnte, daß die Aufführung wohl keinem Zweifel mehr unterliegt.
In Hoffnung auf Ihre abermalige Hilfe
Ihr dankergebener
Otto Borngräber.
a eingef.: „Deutschen