Otto Borngräber an Ernst Haeckel, Halle, 27. März 1900

Halle a. S., Luckengassea Nr. 6, d. 27. 3. 1900

Hochgeehrter Herr Professor!

Zu meiner großen Freude ersehe ich aus Ihrem werten Briefe, daß Sie gegen meine Befürchtungen vollkommen genesen sind, da sonst ja wohl eine längere Reise nicht möglich wäre.

Meiner eigenen Influenza zufolge kann ich Ihrem Wunsche, Ihnen gelegentlich etwas über die betr. Sache mitzuteilen, heut nur in sehr geringem Umfange genügen. Ich habe gegenwärtig nur eines jener stockorthodoxen Blättchen da (die ja in dem „frommen“ Halle wie die Bacillen herumschwirren, und mit denen man mir förmlich die Bude stürmt, um mich zu „bekehren“), welches etwas wenigstens bringt, nämlich – eine Empfehlung des „Antihaeckel“. Es ist aber zu plump und zu unbedeutend, als daß || ich es Ihnen schicken möchte. Die großen Zeitungen übrigens sind wiederum zu oberflächlich, als daß sie sich eingehender in einen wissenschaftlichen Streit mengten; sobald mir etwas aufstößt, was von Belang ist, schicke ich’s Ihnen. Da Ihnen um die Person des „Sankt-Loofs“ zu thun ist, stehe ich Ihnen mit meiner Schilderung solange zu Gebote als – Ihre Geduld reicht. Zum „Sankt-Loofs“ würde das „fromme“ Halle ihn allerdings machen, wenn es konsequent, d.h. katholisch wäre. In der That genießt er in gewissen Kreisen eine gewisse Beliebtheit, vielleicht weil er noch jung und schon Professor ist. Er ist der bei weitem jüngste Professor der Fakultät, wohl Anfang der vierziger. Vielleicht daher auch sein ungestümes Wesen! Der Name Loofs paßt wie auf Haar; ich habe ihn selten anders als laufend gesehen. „Feurig“ wollen ihn viele nennen, ich möchte ihn eher „polternd“ nennen. Manche sprechen von seinem begeisterten und begeisternden Vortrag, ich finde aber, daß zur wahren Begeisterung eben der ätherische Hauch fehlt. || Ich glaube, ich bin doch auch ein Jüngling, der sich von Großem und Edlem begeistern läßt, aber ich muß gestehen: als ich vor Jahren ein kirchengeschichtliches Kolleg bei ihm hörte, konnte ich mich oft des Lachens kaum enthalten, wenn er sich über ganz winzige Kleinigkeiten förmlich ereiferte. Und da sich das auf Schritt und Tritt polternd wiederholte, so wirkte er auf mich langweilend statt begeisternd, versenkte mich ein paar Stunden in Schlaf, den ich mich dann entschloß, lieber nicht im Auditorium abzuhalten. So ging es vielen Studenten. Und ist auch wohl so geblieben bis auf den heutigen Tag. Loofs ist rechts Ritschlianer, Schüler Harnacks. Seine geistige Bedeutung stelle ich nicht hoch. Wenn ich das Ingenium einiger hiesiger Theologen, wie z.B. Kähler oder Beyschlag, immerhin respektiere, so bemitleide ich eigentlich Loofs. Er ist eine arme Krämer- und Kärrnerseele. Seine Kollegs strotzen von 1000 Kleinigkeiten – kein einziger großer Gesichtspunkt ist mir aufgegangen. Er ist ein Arbeits-, Sammel-, Aufstöberungs-, Quellen-Talent; da ist nichts Geniales, nichts Schöpferisches, nichts, was einen irgend sympathisch berühren könnte. Jedoch – es muß || auch solche Käuze geben. Und – Sie entsinnen sich, was Schiller von Kants Auslegern sagt. – Loofs ist einseitig, wie ⅘ der Theologen, insofern ein Typus. Als ich vor etwa ⅟2 Jahr einmal bei ihm zu Gaste war und ich ihn wenigsten von dem ästhetischen Vorzug der antiken Kunst (ganz abgesehen von der Religion) gegenüber der christlichen Kunst zu überzeugen suchte, gab er selbst dies nicht zu und meinte, ich wäre voreingenommen! – Er hat einen ziemlich exakten, aber unbehilflichen Leitfaden der Dogmengeschichte geschrieben, ein größeres und epochemachendes Werk wohl kaum. Das epochemachendste ist ein ganz kleines: der Antihaeckel; aber weniger durch die ersten als durch die letzten beiden Sylben. –

Doch ich langweile Sie. – Mit Herrn Strauß bin ich übereingekommen, nur einen ganz kurzen Prospekt (also wohl ohne Vorwort) zu wählen. Ich bin nicht für große Reklame. Denn – Reklame macht nur, – wer sie braucht. Freilich brauche ich sie als Anfänger. Denn wer gleich zu Anfang entmutigt wird, verliert ja leicht den idealen Schwung, dessen der Dichter benötigt ist.||

Wenn Sie nach Berlin kommen, könnten Sie uns, bitte, einen Gefallen thun. Das Leipziger Aufführungskomité hat zu Protektoren unserer Aufführung auch die Herren Gebrüder Hart und die Friedrichshagener (Herrn Bölsche und Dr. Wille) in Aussicht genommen, sich nur noch nicht (da sie uns ja ferner stehen als Sie) an sie herangewagt. Wenn Sie ihnen sagten, daß es nur ein Ehrenamt ist, das keine Arbeit macht, so würden sie uns wohl keinen Korb geben. – Wenn Sie Harts treffen sollten, so sagen Sie ihnen nur, daß ich nun noch eine gründliche Durcharbeitung des Werkes vorgenommen habe (die sie meines Wissens nicht für notwendig zu halten schienen). Heute ist der 3. Akt nach Altenburg gegangen. Gegen Ende dieser Woche aber mache ich endgültigen Schluß. Wohl glaube ich selbst fast, daß durch diese umfassenden Besserungen, welche das Dreifache der herzoglichen Angaben übersteigen, der Wert des Ganzen gewachsen ist, obwohl leider auch || hie und da die Tendenz etwas gemildert werden mußte.

Das Bölschesche Lebensbild hatte ich bereits auf die Liste der demnächst zu beschaffenden und zu lesenden Bücher gesetzt, möchte Sie auch um keinen Preis berauben; obwohl ich nicht verhehlen will, daß eine Widmung von Ihrer oder des Herrn Autors Hand mich ungemein ehren und erfreuen würde.

Überdies bitte ich Sie, falls Sie, wie gesagt, in Berlin oder Friedrichshagen mit den betr. Herren, die persönlich, wenn auch flüchtig, ich kennen zu lernen die Ehre hatte, zusammenkommen sollten, mich ihnen zu empfehlen. – Nehmen Sie nochmals meinen Dank für die warme Empfehlung an Herrn Strauß. Noch eins. Wenn Ihnen um die Photographie des „Sankt-Loofs“ zu thun sein sollte, so will ich sie Ihnen, da sie öffentlich zu haben ist, in wenigen Tagen besorgen. – Meine Krankheit entschuldigt die Schrift und den komischen Stil!

Ihr

dankergebener

Otto Borngräber.

a irrtüml.: Lukengasse

Brief Metadaten

ID
6393
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
27.03.1900
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
6
Umfang Blätter
3
Format
14,0 x 22,1 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6393
Zitiervorlage
Borngräber, Otto an Haeckel, Ernst; Halle; 27.03.1900; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_6393