Braun, Alexander

Alexander Braun an Ernst Haeckel, Berlin, 24. März 1864

Berlin den 24ten März

1864

Mein Lieber Freund und College!

Ihnen einige Zeilen nach Nizza zu schreiben ist schon seit längerer Zeit meine Absicht, aber selbst in den jetzt ruhigeren Ferientagen wollte dazu die erwünschte Stille und Sammlung nicht kommen. Ich bitte, daß Sie meine spät eintreffenden Zeilen nicht als Mangel an herzlicher Theilnahme deuten; glauben Sie nicht, daß ich kein Gefühl, kein Gedächtniß für Sie hatte in der Zeit, die Ihnen so schwere Prüfungen auferlegte. Es ist vielmehr das dem Ereigniß gegenüber drückende Gefühl der Ohnmacht, das den Gang der Gedanken und der Feder hemmte, die Unfähigkeit, irgend einen sogenannten Trost in dem Schmerz um das Unersetzliche bieten zu können. Das will ich denn auch nicht versuchen, zumal ich weiß, daß man der Bitterkeit solchen Schmerzes nicht entfliehen, noch weniger sie versüssen kann. Den Schmerz zurückzudrängen, würde das schlechteste Heilmittel sein; er muß vielmehr ganz gefühlt und ganz ertragen werden, wenn das Leben genesen soll. Und daß eine Genesung || auf diesem natürlichen, den gerechten Schmerz nicht unterdrückenden Wege möglich ist, ist meine Überzeugung, geschöpft aus fremder und eigener Erfahrung. Dieselbe Erinnerung, die uns der plötzlich von der Vergangenheit abgerissenen und verödeten Gegenwart gegenüber so unaussprechlich unglücklich macht, dieselbe Erinnerung ist es, die uns auch die Ruhe und den Frieden weiderbringt, in dem Maaß, als sie die Gegenwart gegenüber der Vergangenheit wieder zur Geltung bringt, als sie uns mehr und mehr gewahr werden lässt, daß das Erlebte ein in uns Fortbleibendes ist, daß das vergangene Glück einen unvergänglichen Reichthum in uns zurückgelassen hat. Es giebt im Inneren Leben des Geistes und des Gemüthes etwas, was in ganz anderer Weise haftet und fortwirkt, als die leibliche Nahrung, was, wenn es einmal gewonnen ist, uns nicht wieder verläßt. So im Gebiete der Wahrheit und im Gebiete der Liebe. Ich halte das || für eine erfahrungsmächtige, naturgeschichtliche Wahrheit des geistigen Lebens und der Glaube knüpft gern an diese innere Gewißheit nach weitere Aussichten, indem er das diesseits Unvergängliche in das Jenseits überträgt.

Wie liebliche und freundliche Bilder schweben mir von der Dahingeschiedenen vor! Ich sehe sie vor mir in der ungetrübtesten Heiterkeit, in der vollen Freudigkeit ihres Zusammenlebens mit Ihnen, in dem reinen Ausdruck eines Lebensglückes, wie es uns zu sehen selten gegönnt ist. Wie ich an der Freude dieses Doppellebens theilnehmen durfte, so darf ich Ihnen nach der so plötzlichen, so unerwarteten Zerreissung desselben auch meine innige Theilnahme an dem Schmerze dieser Trennung aussprechen, aber auch zugleich meine Hoffnung, daß dieser Schmerz sich Ihnen verklären möge zu einem Andenken, das nicht mehr zerstörend, sondern erhaltend wirkt, zu einem Andenken, das Sie zurückführen mögen aus der Verzweiflung zu dem Berufe des Lebens, an welchem in voller Weise theilzunehmen die Freude und das Streben der Ent-||schlafenen war, und in welchem Berufe fortzuwirken die schönste, die wirksamste Bewahrung und Bewährung ihres Andenkens ist.

Daß Sie von diesem Vorsatz bereits selbst erfüllt sind, daß Sie durch die Reise nach dem Süden die Vorbereitung zu diesem neuen, schweren Abschnitt Ihres der Wissenschaft gewidmeten Lebens getroffen haben, weiß ich von Ihren Ältern und meine besten Wünsche begleiten Sie auf Ihren Wegen. Könnte ich doch mit Ihnen in der schönen Natur des Südens wandelna und Erquickung suchen! Die Sehnsucht nach der freien Natur erfaßt mich in dem alten kalten Berlin, zumal am Ausgangs des Winters, recht oft, aber ich muß Geduld haben, bis der Frühling auch in unserer Nähe eintrifft, was in diesem Jahre recht langsam geht. Da ich mir dachte, daß Sie sich viel und vielseitig in der freien Natur bewegen, nicht bloß im Meer, sondern auch auf dem Lande Ihre Blicke schweifen lassen, || so will ich die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, Ihnen meine besondere Vorliebe für die Isoëten ins Gedächtniß zu rufen. Sie kennen das Vorkommen bei Heringsdorf, aber ganz anders ist das der Land-Isoëten, welche kleine schwach bewachsene Vertiefungen im Hügelland, wo im Winter das Regenwasser einige Zeit stehenbleibt, oder selbst ganz trockene Orte lieben und leicht übersehen werden, da sie wie kleine Grasbüschelchen aussehen, aufrecht, wenn sie gedrängt wachsen, oder sternförmig ausgebreitet, wenn sie vereinzelt stehen. Ein Stich in die Erde verräth aber sogleich ihre Natur, indem er eine Knolle zu Tage bringt. Einige nähere Angaben namentlich über die Gesellschaft, in welcher sie sich finden, können Sie in einer Abhandlung nachsehen, die ich Ihnen unter Band beifüge, Seite 601 und dann 612 und f. unter Isoetes Duriaei und Isoetes Hystrix. Aus der Gegend von Nizza ist noch kein Isoëtes bekannt, aber bei Antibes ist I. Duriaei gefunden, und bei Cannes wird Isoetes Hystrix angegeben. Es würde mich sehr freuen wenn Sie ein oder den anderen finden und mir einen kleinen Vorrath davon mitbringen könnten!

Wollen Sie nicht Herrn Thoret und Dr. Bornet in Antibes besuchen? Thoret || besitzt eine herrliche Sammlung der schönsten Abbildungen von Algen und ihrer Fortpflanzungsverhältnisse, von denen nur ein kleiner Theil publicirt ist, und die er gerne vorzeigt. Vor nicht langer Zeit hat ihn einer meiner Schüler, Dr. Kny, besucht und war sehr freundlich bei ihm empfangen.

Von hier habe ich nicht viel zu erzählen. Dr. von Martens sehen wir öfter, er arbeitet fleissig an seinen krummen Schnecken. Ihren Herrn Vater habe ich ganz kürzlich Beyrichs gesehen; es stand Ihren Ältern gerade ein Auszug bevor, der hoffentlich glücklich beendigt ist. Daß Ihre Ältern den Sommer mit Ihnen zubringen wollen, hat mich gefreut zu hören. Sie wissen wohl am Besten, daß die Universität Jena unseren Dr Pringsheim als Professor der Botanik haben will. Wenn es ihr gelingt, so freue ich mich für Sie. Aber für uns habe ich noch Hoffnung, daß wir ihn behalten. Auf Antrag unserer philosophischen Facultät will || das Ministerium ihn zum ausserordentlichen Professor machen und ihm – freilich sehr bescheidene – Mittel zur Errichtung eines botanisch physiologischen Laboratoriums gewähren, wenn er hier bleibt. Er hat sich noch nicht entschieden, war einige Tage selbst in Jena, um sich die Sache dort anzusehen.

Von botanischen Neuigkeiten, die für Sie ein Interesse haben könnten, führe ich eine im nächsten Heft der Annales des Sciences naturelles enthaltene Abhandlung von de Bary über Schmarotzerpilzen an, in welcher die Befruchtungs- und Fortpflanzungsverhältniße einiger Gattungen (besonders Cystopus und Peronospora) in verständlicher Weise ins Klare gebracht sind. Von Tulasne ist der 2te Band der Iconographia selecta Fungorum erschienen, der die Sphaericeen enthält und über die Polymorphie der Fructification dieser Pilze die schönsten Nachweisungen bringt.

Nun muß ich schließen; leben Sie wohl und kommen sie leiblich und geistig gestärkt und gefaßt, ergeben und der Vorsehung vertrauend zurück zu Ihren Ältern, Ihren Freunden, Ihrem Berufe und || erhalten Sie auf mir Ihre Liebe und Freundschaft

Ihr A Braun

Meine Frau bittet mich auch von ihrer Seite die herzlichsten Grüße und Wünsche für Ihr Wohlergehen beizufügen.

a korr. aus: wandelln

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
24.03.1864
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Nizza
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6300
ID
6300