Breitenbach, Wilhelm

Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Bielefeld, 5. Juni 1917

DR. WILHELM BREITENBACH

BIELEFELD, 5.6.1917

Zastrowstr. 29.

Sehr verehrter Herr Professor!

Vor einigen Tagen hat in der benachbarten „Residenzstadt“ Detmold eine gewaltige Explosion in einer staatlichen Munitionsfabrik stattgefunden, bei der 112 Frauen und Mädchen (neben einigen Männern) zu Tode gekommen sind. Die Zeitungen haben nichts darüber gebracht und wohl auch nichts bringen dürfen. Es sind dabei Zustände bekannt geworden, die unglaublich sind. Die Fabrik war in einem alten Staatsgebäude eingerichtet, das nur eine einzige enge Tür nach aussen hatte, die sich nicht einmal nach aussen, sondern nur nach innen öffnen konnte. Die Fenster des Gebäudes waren aussen mit Gittern versehen und Aussenleitern, wie sonst an Fabrikgebäuden vorgeschrieben, waren nicht vorhanden. Als daher im Erdgeschoß die Explosion ausbrach, und dann im Gebäude Feuer entstand, konnten die Frauen natürlich nicht heraus und auch nicht durch die Fenster herausgeholt werden. Sie sind || daher ganz elendiglich verbrannt. Die Gewerbeinspektion, die sich bei Privatfabriken um jede Kleinigkeit der Einrichtung kümmert und die peinliche Vorschriften bezüglich der Sicherheit der arbeitenden Personen bei Feuer etc. erlassen hat, scheint sich hier, wo es sich um ein Staatsgebäude handelt, um nichts gekümmert zu haben. Die Aufregung über diese horrenden Zustände ist hier in der ganzen Gegend natürlich gross und man kann schöne Urteile über den Staatsbetrieb hören. Auch in Hannover soll eine Explosion stattgefunden haben, doch habe ich noch nichts näheres erfahren können.

Das andauernd schöne Wetter hat mich zu vielfachen botanischen Ausflügen mit meinen Schülern veranlasst und ich habe mich dabei lebhaft an meine eigene Schulzeit erinnert, in der wir solche Ausflüge mit Hermann Müller regelmässig machten.

Von wissenschaftlichen Büchern habe ich in den letzten Monaten rein gar nichts neues gesehen. Man kommt sich vor, als sei man von der Wissenschaft ganz abgeschlossen. ||

Der Krieg geht immer weiter und will kein Ende nehmen, ja erscheint an Heftigkeit in der nächsten Zeit zuzunehmen. Bei unseren Feinden ist jedenfalls der Wunsch, uns zu vernichten, nach wie vor in ganzer Kraft vorhanden. Demgegenüber widert einen das dumme Zeitungsgeschwätz von den Friedenszielen fast an. Das einzige Ziel, das wir fest ins Auge fassen müssen, ist die Niederringung Englands. Wenn wir das erreichen, werden wir Frieden haben, wenn wir es nicht erreichen, werden wir den Krieg verloren haben und damit wird Deutschland um 100 und mehr Jahre zurückgeworfen sein. Gelingt es unseren U-Booten, England so abzuschneiden und auszuhungern, dass wirklich Tausende Menschen von Menschen vor Hunger sterben, dann, aber auch erst dann, wird England zu Verhandlungen bereit sein. Aus den russischen Zuständen wird man nach den Zeitungsmeldungen nicht recht klug. Alles in allem scheint ja dort die Auflösung der staatlichen Ordnung weiter zu gehen. Was aber aus dem Chaos sich herauskrystallisieren wird, kann Niemand sagen. Im ganzen sehe ich ziemlich schwarz in die Zukunft, auch wenn wie einen für uns verhältnismässig günstigen Frieden || erzwingen können. Denn wir werden einem schweren wirtschaftlichen Kriege entgegen gehen und stehen vor sehr schwierigen inneren Fragen. In vielen Fabriken verdienen Arbeiter monatlich bis zu 800 Mark. Das sind doch ganz unhaltbare Zustände, die sich noch mehr zuspitzen werden, wenn plötzlich die Kriegsarbeit aufhört und wenn dann für die Friedensarbeit kein Rohmaterial im Lande ist. Man darf gar nicht daran denken, was uns die nächsten Monate vielleicht bringen werden.

Ich hoffe, verehrtester Professor, dass Sie den langen Winter gut überstanden haben. Sie werden sich auch freuen, wieder ins Freie kommen zu können und wie ich mir denke, werden Sie die schönen Tage zu ihrer geliebten Malerei ausgiebig benutzen. Es würde mich sehr freuen, gelegentlich von Ihnen zu hören, dass es Ihnen gut geht.

Die Ernährung ist hier noch leidlich, jedenfalls ist sie in vielen Städten schlechter wie bei uns.

Mit herzlichen Grüssen in alter Treue

Ihr ergebenster Schüler

Dr. W. Breitenbach

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
05.06.1917
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6186
ID
6186