Breitenbach, Wilhelm

Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Bielefeld, 9. Februar 1917

DR. WILHELM BREITENBACH

BIELEFELD, 9.2.1917

Zastrowstr. 29.

Sehr geehrter Herr Professor!

Für die freundliche Uebersendung Ihres Aufsatzes: ‚Der Desperado-Krieg‘ im Jenaer Volksblatt danke ich Ihnen verbindlichst. Ich habe den Aufsatz mit grossem Interesse gelesen und es hat mich besonders gefreut, dass Sie meiner kleinen Broschüre ‚England als Völker-Vernichter‘ darin so freundlich gedenken. Wenn die Schrift auch an sich nichts Neues enthält, so sind doch die in derselben berichteten Tatsachen in weiten Kreisen unbekannt oder doch ungenau bekannt und auf jeden Fall kann die Schrift aufklärend wirken, da sie uns zeigt, wessen wir uns von England zu versehen haben würden, falls wir unterliegen würden. Wer sich das vor Augen hält, wird erkennen, dass es sich in diesem Kriege tatsächlich um Sein oder Nichtsein unseres Volkes und des Deutschen Reiches handelt.

Hier hat die Schrift grosses Interesse erregt und mehrere Herren haben grössere Mengen bezogen, um sie an ihre Angestellten sowie an Bekannte und Freunde zu verteilen. Wegen der neuerlichen Bahnsperre ist die Schrift eigentlich noch gar nicht im Buchhandel, die Exemplare sind unterwegs nach Leipzig und in diesen Tagen erst wird die Schrift angekündigt.

Ich stehe wie Sie auf dem Boden des ‚Unabhängigen Ausschusses‘. Schon lange habe ich gewünscht, nähere Fühlung mit demselben zu nehmen. Leider kenne ich dessen Publikationen nur sehr wenig. Vielleicht haben Sie die Freundlichkeit mir die Adresse von Prof. Dietrich Schäfer mitzuteilen, damit ich mich mit diesem in Verbindung setzen kann. || Wir haben hier wegen der Kohlennot diese ganze Woche schon wieder die Schule aussetzen müssen und wahrscheinlich werden diese Kohlenferien noch weiter verlängert werden müssen. Viele Fabriken haben oft tagelang stillegen müssen, weil sie keine Kohlen hatten, dem bedeutendsten hiesigen Kohlenhändler sind etwa 10 Kohlenschiffe auf dem Mittellandkanal eingefroren, so dass er über die Kohlen nicht verfügen kann. Diese Kalamität, die noch durch das andauernde Frostwetter verstärkt wird, hat uns gerade noch gefehlt. Die Wasserstrassen sind unbrauchbar und tausende von Waggons werden für die Kohlenversorgung Süddeutschlands in Anspruch genommen, die sonst durch die Rheinschiffe vor sich ging.

Auf die Erfolge des U-Bootskrieges in seiner neuen Gestalt dürfen wir sehr gespannt sein. Hoffentlich haben sie den Erfolg, den wir von ihm erwarten. Herr Wilson scheint sich bei seinem Appell an die Neutralen stark verrechnet zu haben. Dass der Mann ein unehrlicher Lump ist, hat sich jetzt deutlich gezeigt. Ich habe ihn schon lange dafür gehalten.

Mit besten Grüssen bin ich in alter Treue

Ihr dankbarer Schüler

Dr. W. Breitenbach

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
09.02.1917
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6182
ID
6182