Breitenbach, Wilhelm

Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Bielefeld, 23. Juli 1916

DR. WILHELM BREITENBACH

BIELEFELD, 23.7.1916

Zastrowstr. 29.

Sehr geehrter Herr Professor!

Für die freundliche Uebersendung der 12. Auflage Ihres Cambridge Vortrages sage ich Ihnen meinen herzlichen Dank. Das Nachwort habe ich mit Interesse gelesen. Aus den der Schrift beigelegten Zeitungsausschnitten ersah ich zunächst zu meinem Bedauern, dass Ihr alter Pohle gestorben ist. Sie werden den Verlust diesen alten treuen Dieners, der zu Ihnen und dem Zool. Institut gehörte, gewiss schmerzlich empfinden. Wenn man plötzlich einen Menschen, mit dem man jahrzehntelang täglich zusammen war entbehren muss, dann spürt man das an vielen Stellen.

Ein anderes Zeitungsblatt zeigte mir, dass die Verlegung des Phyletischen Archivs in die neuen Räume nun auch vollzogen ist. Die unglückselige Geschichte hat nun endlich einen

würdigen Abschluss gefunden und wir wollen hoffen, dass das Archiv || sich mit den Jahren so entwickelt, wie Sie es sich wünschen und dass es zu einem Mittelpunkt für entwicklungsgeschichtliche Fragen wird. Wie ich Ihnen schon mehrfach geschrieben habe, wird es mir eine grosse Freude sein, wenn ich an den Aufgaben des Archivs mitarbeiten kann. In der nächsten Woche bekomme ich für 6 Wochen Ferien. Ich habe schon lange daran gedacht, wieder einmal nach Jena zu fahren. Nun sind ja jetzt, bei der immer verzwickter werdenden Lebensmittelfrage, Reisen nicht so einfach wie früher, allein ich denke, für einige Tage wird man doch wohl unbesorgt von Haus fort können.

Seit Pfingsten haben wir hier kaum einen Tag ohne Regen gehabt, die Sonne sieht man gar nicht und die Temperatur ist niedrig, dass ich z.B. heute wieder in meinem Zimmer einheizen muss. Einen so miserablen Sommer haben wir hier im Westen noch niemals gehabt. Da sehne ich mich tatsächlich mal hinaus und vielleicht werde ich mir gestatten, Sie demnächst einmal zu besuchen.

Der Krieg nimmt nachgerade ekelhafte Formen an. Die Kämpfe an der Somme müssen nach Aussage von Teilnehmern fürchterlich sein. Hier liegen alle Kranken-||häuser wieder voll von Verwundeten, an einzelnen Tagen sind hier 4 Lazarethzüge mit Schwerverwundeten angekommen und ununterbrochen kommen weitere Züge durch. Man sieht nicht ein, welchen Zweck dieses entsetzliche Morden haben soll und man muss zu dem Gedanken kommen, dass die sogenannten Kulturvölker verrückt geworden sind. Jeder, ob Soldat oder Zivilist, in jedem Lande ist den Krieg leid und möchte ihn lieber heute als morgen beendet haben – und dennoch wütet er unvermindert weiter und man sieht kein Ende! Es ist unfasslich, wie sich die Kulturvölker so etwas bieten lassen können.

Aus sicherer Quelle weiss ich, dass wir in Deutschland täglich rund 400000 Granaten produzieren und noch ist nicht abzusehen, wann diese Produktion vermindert werden kann. Diese eine Ziffer redet Bände und schliesst alles Kriegsunheil in sich ein.

Mit grossem Vergnügen hörte ich, dass es Ihnen gesundheitlich vortrefflich geht, soweit es die Umstände gestatten. Wie gesagt, hoffe ich mich bald persönlich davon überzeugen zu können.

Inzwischen verbleibe ich mit besten Grüssen

Ihr treu ergebener

Dr. W. Breitenbach

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
23.07.1916
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6177
ID
6177