Breitenbach, Wilhelm

Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Brackwede, 21. April 1912

NEUE WELTANSCHAUUNG

ORGAN DES „HUMBOLDT-BUNDES FÜR

NATURWISSENSCHAFTLICHE WELTANSCHAUUNG“.

REDAKTION: DR. W. BREITENBACH, BRACKWEDE I. W.

BRACKWEDE, 21. 4. 1912

Sehr geehrter Herr Professor!

Mein Kommissionär in Leipzig teilt mir mit, dass von meinem „Lebensbild“ nur noch gebundene Exemplare vorrätig seien, er hat Ihnen demnach diese geschickt. Ich berechne Ihnen diesselben aber nur wie broschierte und erlaube mir die Rechnung hier beizulegen. Haben Sie das neue Buch von Vogt: Der absolute Monismus schon gelesen resp. angesehen? Prof. Ludwig Stein in Berlin, den nunmehrigen Herausgeber von „Nord und Süd“ halte ich nicht für einen Monisten. Ich habe in früheren Heften bereits über ihn berichtet. Wenn er als Jude die jüdische Religion in Gegensatz zum Monismus stellt, so kann er doch kaum als Monist angesprochen werden. Die Zeitschrift des || Monistenbundes hat nun bereits fünfmal den Verlag gewechselt und ich bin neugierig zu erfahren, wie lange sie im jetzigen Verlag bleiben wird. Wenn sie in ihrer neuen Form allzusehr den Charakter einer wissenschaftlichen Zeitschrift erhält, wird sie bei der überwiegenden Mehrheit der Bundesbrüder, die doch keine Akademiker sind, bald an Boden verlieren.

Mit großem Bedauern höre ich, daß Ihre Gesundheit viel zu wünschen übrig lässt. Ich hoffe gern, dass der einsetzende Sommer einen günstige Wirkung ausübt. Die neue Morphologie der Wirbellosen resp. das erste Heft des Werkes habe ich in diesen Tagen gelesen. Die darin enthaltene Anerkennung Ihrer Arbeit hat mich sehr gefreut. Oskar Hertwig hat sich merkwürdig gedreht, die Berliner Luft scheint die sonderbarsten Wirkungen auf Gelehrte auszuüben.

Von welchem schrecklichen Unglück ist Richard Hertwig neulich betroffen worden! Es hat mir sehr leid getan, dass ihm das begegnen musste. Solche entsetzlichen Unglücksfälle zeigen auch die soge-||nannte sittliche Weltordnung.

In seiner neuesten Sonntagspredigt fordert Prof. Ostwald, dass alle Monisten aus der Kirche austreten. Wenn er wirtschaftlich oder amtlich abhängig wäre wie die meisten Leute, würde er sich hüten eine solche Forderung zu stellen. Wenn ich hier heute austreten wollte, würde ich mindestens 2/3 meines Einkommens verlieren.

Wer eine Familie hat und auf seiner Hände Arbeit angewiesen ist, beurteilt die Kirchenaustrittsfrage etwas anders wie Prof. Ostwald.

Mit den besten Wünschen für Ihre Genesung und freundlichen Grüssen

Ihr treu ergebener

Dr. W. Breitenbach

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
21.04.1912
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6110
ID
6110