Marie Eugenie delle Grazie an Ernst Haeckel, Salzburg, 9. August 1895

Salzburg, Gärtnergasse 3.

9. August 1895.

Hochverehrter Herr Professor!

Am Tage meiner Abreise erhielt ich Ihren Brief, der schon längst beantwortet wäre, hätt’ ich in Folge der abnormen Hitze nicht wieder an schlaflosen Nächten und einer, mich tief verstimmenden, nervösen Erregung gelitten, die mich oft wochenlang plagt. Der Inhalt Ihres Schreibens hat mich erschüttert und doppelt ergriffen, || da ich mich schon mit der großen Freude trug, Sie auf Ihrer Erholungsreise hier begrüßen zu können, und welch’ ein Fest mir dies gewesen wäre, brauch’ ich Ihnen, der Sie meine verehrungsvollen Gesinnungen kennen, gewiss nicht erst zu wiederholen! Aber noch mehr schmerzt mich dies, wenn ich bedenke, dass Sie, der gewiss einer sonnigen Ruhe und schöner Ferialtage bedürftig gewesen wäre, nun die hiefür bestimmte Zeit in solch’ unangenehmer Lage verbringen und im Herbste || dann, ohne kräftigende Zwischenpause vom Krankenbette weg gleich in den Hörsaal müssen! Da thät’ Ihnen vorher doch, wenn auch nicht die rauhe Alpenluft, so doch ein Stückchen Italien gut. Sie sehen, ich mach’ im Geiste schon Pläne für den Genesenen. Sie legen mir dies gewiss aber nicht als Unbescheidenheit aus, sondern nur als die herzliche Sorge um einen Gelehrten, den sein Vaterland, seine Schüler und ferneren Verehrer sich nicht anders denken können, als gesund!

Ich müsste es eben deshalb als unziemlich empfinden, wenn ich Ihre Sorge um die, in Aussicht gestellte || Besprechung meines „Robespierre“ in einem solchen Augenblick in Betracht ziehen wollte. Ich möchte mir nur zu dem, was Herr Professor so freundlich über meine Studie, „Das Epos“ geäußert, die Gegenbemerkung erlauben, dass, was ein Dichter über seine Kunst sagt, gewiss die Freunde seiner Kunst und einige, ich sage nicht alle Aesthetiker interessiren wird. Was aber ein Forscher Ihres Ranges, über meinen Versuch, die Poesie der modernen, naturwissenschaftlichena Weltanschauung zu gestalten, sagen kann, wird nicht einzelne Kreise sondern Alle interessiren, welche begeistert oder widerwillig unter dem Banne einer neuen Lebensansicht stehen!

In dieser Überzeugung, und mit dem innigsten Wunsche, Sie so bald als möglich Ihrem schmerzlichen Krankenlager entrissen zu sehen, zeichne ich in unwandelbarer Verehrung

Ihre Eug. delle Grazie.

a eingef.: naturwissenschaftlichen

Brief Metadaten

ID
6
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Salzburg
Entstehungsland aktuell
Österreich
Datierung
09.08.1895
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6
Zitiervorlage
Delle Grazie, Marie Eugenie an Haeckel, Ernst; Salzburg; 09.08.1895; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_6