Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Odenkirchen, 26. November 1894
WILH. BREITENBACH
DR. PHIL.
ODENKIRCHEN, DEN, 26. November 1894
Sehr geehrter Herr Professor,
Am vorigen Freitag habe ich im Naturwissenschaftlichen Verein zu Krefeld, der jetzt über
350 Mitglieder zählt, den schon früher erwähnten Vortrag über Biogenetisches Grundgesetz,
die Gasträa-Theorie und den Stammbaum des Thierreiches gehalten. Ich ging aus von der Unterscheidung zwischen Ontogenie und Phylogenie, erwähnte die Begründung der ersteren durch Wolff, die Weiterbildung durch Baer, Remak & &. Dann ging ich zur Geschichte der Phylogenie über, besprach kurz Jean Lamarck und dann ausführlicher Fritz Müller, um von da zu Ihnen über zu gehen. Ich entwickelte das biogenetische Grundgesetz, mit Palingenese und Cenogenese und legte die Generelle Morphologie vor. Dann sprach ich an der Hand eigens zu dem Zweck angefertigter grosser Tafeln, gleich Ihren Tafeln im Institut, ausführlich die Gastrulation und entwickelte daraus die Gasträa-Theorie. Sodann besprach ich die Gasträaden, ebenfalls unter Zuhülfe-||nahme von Zeichnungen. Zum Schluss entwickelte ich dann die Grundzüge des Stammbaumes des Thierreichs nach Ihrem Entwurf in der Schöpfungsgeschichte.
Nach dem grossen Beifall zu urtheilen, den der Vortrag fand, war die angedeutete Zusammenstellung zweckentsprechend und allgemein verständlich. Später hatte ich noch einige kleine Plänkeleien mit einigen Schülern von His und Kölliker, die für mich ganz interessant waren. Da die Versammlung von über 100 Herren besucht war, so werden sicher
viele sich veranlasst fühlen, sich etwas näher mit diesen Fragen zu befassen. Wenn das geschähe, wäre der Hauptzweck des Vortrags erreicht. Ein Auszug aus dem Vortrag soll in
dem Jahresbericht des Vereins erscheinen.
Indem ich hoffe, sehr verehrter Herr Professor, dass ich durch diesen Vortrag in Ihrem Sinn gehandelt und unserer Sache einige neue Freunde erworben habe, bleibe ich mit freundl. Grusse
Ihr ganz ergebenster dankbarer Schüler
Dr. W. Breitenbach