Breitenbach, Wilhelm

Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Odenkirchen, 20. Oktober 1894

WILH. BREITENBACH

DR. PHIL.

ODENKIRCHEN, DEN 20. Oktober 94

Sehr geehrter Herr Professor,

Vor längerer Zeit theilte ich Ihnen mit, dass ich im naturwissenschaftlichen Verein in Crefeld einen Vortrag über das biogenetische Grundgesetz, Gasträa-Theorie & zu halten gedächte. Als Beweis dafür, wie notwendig solche Vorträge sind und wie man selbst in sogenannten gebildeten Kreisen noch immer zu diesen Fragen steht, gestatte ich mir Ihnen folgendes mitzutheilen. Der Vorstand des Vereins nahm an der Fassung des Themas: „Ernst Haeckel, das biogenetische Grundgesetz und die Gasträatheorie“ Anstoss und meinte, ein solcher Vortrag würde bei Ihrer exponirten Stellung für das Crefelder Publikum nicht gerade angebracht sein. Ich wollte nun aber einmal gerade diese Sachen behandeln und schlug nunmehr eine allgemeinere Fassung vor, nämlich: „Das Grundgesetz der Entwicklung im Thierreich.“ In dieser allgemeineren Form, schreibt mir der Vorsitzende des Vereins, ist uns Ihr Vortrag sehr angenehm ||, nur möchte ich Sie freundl. bitten, nicht zu viel darwinistische Vorkenntnisse vorauszusetzen.

Ich freue mich aufrichtig, dass ich in nächster Zeit – der Vortrag findet am 9. November statt – Gelegenheit habe, Ihren speciellen Antheil an den Fortschritten des Darwinismus vor einem meist aus Aerzten und Technikern bestehenen Publikum darzulegen. Auf Ihr neues grosses Werk über „Systematische Phylogenie“ bin ich sehr gespannt; es erscheint ja wol demnächst.

In der letzten Zeit hat es mir geschäftlich ziemlich schlecht gegangen; am liebsten verkaufte ich mein Geschäft und nähme eine Stellung an, etwa als Redacteur in einem Institut wie das „Bibliographische Institut“ in Leipzig, in der man eine naturwissenschaftliche mit einer practischen Thätigkeit gewissermaassen verbindet. Der Kampf ums Dasein ist für kleine Betriebe gegenüber dem grossen Capital kaum noch mit Erfolg durchzuführen; nur mit bedeutenden Mitteln kann man erfolgreich gegen die immer mächtiger anschwellende Concurrenz ankämpfen. || Ich hatte schon einmal wegen einer solchen Stellung in Leipzig angefragt, Herr Dr. Hans Meyer schrieb mir aber, es sei augenblicklich keine Vakanz da, er würde aber bei nächster Gelegenheit auf meinen Wunsch zurückkommen. Da mich die Naturwissenschaft doch einmal unlöslich gepackt hat, so wäre eine derartige Stellung, wie sie mir vorschwebt, für mich eine ausserordentlich befriedigende. Hoffentlich gelingt es mir noch, eine derartige Stellung zu erhalten; hier in diesem Fabriknest mit seiner ewigen Baumwolle ist es auf Dauer nicht zu ertragen.

Es wird mir ein grosses Vergnügen sein, hochverehrter Herr Professor, Ihnen nach dem Vortrag über den Erfolg zu berichten, den die Gasträatheorie in Crefeld gehabt hat. Inzwischen verbleibe ich mit bestem Gruss in vorzüglicher Hochachtung

Ihr ganz ergebener dankbarer Schüler

Dr. W. Breitenbach

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
20.10.1894
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 5945
ID
5945