Paul von Ritter an Ernst Haeckel, Basel, 4. Juni 1886

Basel | 8 Schärtlingasse

4. Juni 1886

Hochgeehrter Herr Professor,

Ihre mir liebe Zuschrift v. 2. Juni 1886 ./. habe ich erhalten, mit Vergnügen gelesen, viel über den englischen Spleen, welchen Sie mir gelegentlich mittheilten, gelacht und in Ihrem geehrten obigen Schreiben die viel erprobte Erfahrung meines Lebens, daß Klappern zum Handwerk gehöre, Kleider schöne Leute und gute Titel noch bessere Bücher machen von Neuem bestätigt gefunden. – Der von Ihnen für die Entwicklungslehre || ausgesonnene Terminus der Phylogenie konnte nicht schöner, besser, natürlicher, zweckentsprechender und genialer a gefunden worden zu sein als er es eben ist. –

Mit Phylogenie ist für grobe und zarte Seelen Alles gesagt und Lord Ruskin in Lanceshire sowie der ungenannte Cand. theolog. aus Schleswig, welche sich schon bei Lebzeiten für das phylogenetische Museum zu Jena gemeldet haben, dürften mit diesem Terminus || auf’s Umfassendste befriedigt sein. – Wenn man alle die Narren, welche sich bei Ihnen und bei mir für das künftige Museum schon gemeldet haben, aufnehmen sollte, so würden die Schätze eines Crösus kaum ausreichen, um diese Beneficenden, welche für das Seelenheil Anderer streiten, in Spiritus acini oder Arsenith erhalten zu wollen. – Welche Physiognomie das hochgelehrte Berlin zu Ihren Triumphen macht kann ich Ihnen nicht sagen, weil Sie es besser wissen b müssen c und der Windfahne näher stehen als ich. –

Von H. Prorector Franken habe ich einen in gewöhnlichen Ausdrücken gehaltenen aber dennoch für das Wohl der Universität Jena schwärmenden Brief erhalten auf welchen ich in kurzen Worten antworten werde, nachdem ich d mit S. Spectabilität dem H. Decan der philo. Facultät in || Antwort auf den Empfang des Doctordiploms miche werde abgefunden haben. – Ich danke Ihnen für die Notizen, welche ich bei Absendung meines Dankschreibens beherzigen werde. –

Daß Old-England an der geistigen Bewegung Theil nimmt hat mich mit hoher Freude erfüllt und wo Licht da muß auch Schatten sein. – Ich danke für die humoristische Antwort, welche Sie an Lord Ruskin gerichtet haben.–

Augenblicklich bin ich mit diversen Arbeiten sehr beschäftigt und bin noch nicht in Mailand gewesen, wo ich erwartet werde. –

Meine Aufwartung bei S. K. H. dem Grossherzog muß ich sobald wie möglich abmachen, damit Alles vergessen und jede Sensation, welche schaden könnte, vermieden werde. – 9/10 der Menschheit ärgert sich im Stillen und 1/10 f derselben sucht seinem Ärger durch öffentliche Schmähungen Luft zu machen.–

Aber die öffentliche Meinung ist g für den Vertreter || der modernen Phylogenie und vertraut in das gütige Geschenk, welches Ihnen, lieber Freund, hell und herzlich zu leuchten scheint. –

Also avanti!

Mit vorzüglicher Hochachtung und Ergebenheit, Ihr

Paul Ritter

Soeben erhalte ich ein langes Postetui, welches ich aber noch nicht eröffnet habe. Alles in Ordnung wahrscheinlich das herrliche Dr Diplom.h

a gestr.: ausgedacht worden; b gestr.: wie ich; c gestr.: als ich; d gestr.: mich; e eingef.: mich; f gestr.: such; g gestr.: durch; weiter am linken und oberen Rand auf Seite 1: der modernen Phylogenie … Dr Diplom.

Brief Metadaten

ID
54605
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Schweiz
Entstehungsland zeitgenössisch
Schweiz
Datierung
04.06.1886
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,6 x 21,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 54605
Zitiervorlage
Ritter, Paul von an Haeckel, Ernst; Basel; 04.06.1886; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_54605