Ernst Haeckel an Marianne Fiorentini, Jena, 21. März 1918

Jena 21. März 1918.

Hochverehrte Frau Professor!

Für die freundliche Zusendung der beiden interessanten, mir bisher unbekannten Bücher:

Junks Naturführer in Tirol, von Prof. Dalla Torre (mit vortrefflicher Karte) und

Guido-List-Bücherei, I Reihe, Nr. 4: Namen der Völkerstämme Germaniens etc.

sage ich Ihnen meinen herzlichsten Dank!

Die ausgezeichneten „Naturführer“ von Junk erfüllen ein wirkliches, von mir wie von tausend anderen Touristen mit naturwissenschaftlichen Interessen oft empfundenes Bedürfnis! Sie werden großen Erfolg haben. Als ich 1855 zuerst Tirol kennen und lieben lernte, hatte ich neben Baedeker nur Schaubach’s „Deutsche Alpen“!

Mit herzlichen Grüssen und besten Wünschen

treulichst Ihr ergebener Ernst Haeckel ||

Dank und Abschied.

Aus Anlaß meines 84. Geburtstages bin ich am 16. Februar d. J. durch eine große Zahl von freundlichen Glückwünschen und gütigen Geschenken erfreut worden. Leser meiner Schriften aus den verschiedensten Berufskreisen, namentlich aber alte treue Freunde und dankbare frühere Schüler, haben mir ihre andauernde Teilnahme an meiner wissenschaftlichen Lebensaufgabe, der Erkenntnis und Lehre der natürlichen Wahrheit, ausgedrückt. Besonders erfreut hat mich in diesen sympathischen Kundgebungen die zunehmende Anerkennung meiner monistischen Entwickelunsglehre, namentlich der Anthropogenie, und die wachsende Überzeugung, daß nur auf diesem sicheren empirischen Grunde der Weg zur Lösung der Welträtsel und zum Verständnis der Lebenswunder zu finden ist.

Da ich leider außerstande bin, allen einzelnen Freunden und Anhängern meinen aufrichtigen Dank persönlich auszusprechen, bitte ich Sie, dessen schlichten Ausdruck in diesen wenigen Zeilen freundlich entgegen zu nehmen. Damit verbinde ich zugleich einige kurze Worte des Abschieds. Wie ich bereits am 17. Juli 1917 auf einer gedruckten Postkarte vielen Korrespondenten mitteilte, hatte mein Gesundheitszustand und meine Arbeitskraft seit || mehreren Monaten bedenklich abgenommen. Seitdem haben sich alte Zirkulations-Störungen, bedingt durch zunehmende Herzschwäche, bedeutend verschlimmert. Es ist sehr wahrscheinlich, daß ich noch vor Eintritt des nächsten Winters zur ewigen Ruhe eingehen werde. Daher ergreife ich diese Gelegenheit, um meinen lieben alten Freunden und weiteren Bekannten ein herzliches Wort des Abschieds zuzurufen. Ich scheide von Ihnen mit wiederholtem besten Dank und mit der Versicherung, daß ich in Ihrer fortwirkenden lebendigen Teilnahme an meinen naturphilosophischen Studien den wertvollsten Lohn für meine ernsten sechzigjährigen Bemühungen erblicke. Wie ich vor 25 Jahren in meiner Altenburger Rede (1892) den „Monismus als Band zwischen Religion und Wissenschaft“ bezeichnete, und wie ich 1914 beim Eintritt in mein neuntes Dezennium die „Gott-Natur“ im Sinne unseres größten Dichters und Denkers als höchstes Ideal vernunftgemäßer Weltanschauung hinstellte, so hoffe ich jetzt am Schlusse meiner Lebensarbeit, daß nach baldigem Abschluß des wahnsinnigen kulturzerstörenden Weltkrieges der heißersehnte „Deutsche Friede“ den Neubau der zerrütteten Kultur auf dem festen Grunde des naturalistischen Monismus segensreich errichten wird.

Jena, 18. Februar 1918.

Ernst Haeckel. ||

Frau

verw. Univers.Professor

Marianne Fiorentini

St. Annenheim

Hall bei Innsbruck

(Tirol).

Brief Metadaten

ID
53724
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Zielland
Österreich-Ungarn
Datierung
21.03.1918
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,5 x 22,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 53724
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Fiorentini, Marianne; Jena; 21.03.1918; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_53724