Gera, den 13. Dez. 1910
Verehrter Herr Professor!
Aufs herzlichste danke ich Ihnen für das Exemplar Ihrer neuesten Verteidigungsschrift „Sandalion“, das Sie, mit ehrender Widmung versehen, mir zugewandt haben. Ich werde es nächsten Donnerstag abend mit verwerten können, wo ich in einer „öffentlichen Erörterungsversammlung“ an zweiter Stelle über Ihre Beweggründe zum Austritt aus der Kirche berichten werde, die Sie im neuesten Hefte des „Freien Worts“ ausführlich mitgeteilt haben. An erster Stelle soll die nächsten Freitag in unserem Gemeinderat zur Sprache kommmende Frage erörtert werden: „Gibt es keinen gerichtlichen Weg gegen die ministerielle Entscheidung in der „Monistenloch“-Sache?“ Worum es sich dabei handelt, können Sie aus meinem inliegenden Sprechsaalartikel des Geraischen Tageblatts ersehen.
Zu Ihrem Austritt aus der Landeskirche, || der Sie innerlich schon längst nicht mehr angehören, und zu seiner freimütig offenen und unzweideutigen Begründung erlaube ich mir übrigens, Ihnen ein freudiges u. anerkennungsvolles „Bravo!“ zuzurufen. Sie haben damit allen theoretischen Monisten ein zur Nachahmung anspornendes Beispiel überzeugungstreuen Handelns gegeben. Ich bin mit meiner Frau und meinen zwei Stiefkindern zwar auch erst im August dieses Jahres aus der Kirche ausgetreten, nachdem der hiesige Kirchenvorstand dem Ministerium angeraten hatte, den Nichtkirchengläubigen ihr Recht auf Mitbenutzung der städtischen Friedhofshalle reichs- und landesgesetzwidriger Weise zu verkümmern; aber ich habe mich doch schon vor 10 Jahren nicht kirchlich trauen lassen und meine 4 eigenen Kinder nicht taufen lassen. Der Austritt aus der Kirche ist die beste Anbahnung der endlichen Trennung des Staats, der Gemeinde u. der Schule von der Kirche.
Das Manuskript meines Artikels „Der Naturphilosoph Häckel“ können Sie getrost behalten u. nach Belieben verwenden. Ich habe eine Kopie davon zurückbehalten.
Mit hochachtungsvollem Gruße
Ihr ergebener Schüler
Dr. Otto Plarre.
