Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Willy Kükenthal, Jena, 14. Januar 1918

Jena 14.1.1918.

Lieber Herr College!

So eben lese ich in der Zeitung, daß Sie eine Berufung als Direktor des Zoologischen Museums nach Berlin erhalten und angenommen haben. Schon seit mehr als 10 Jahren habe ich Sie für diese hervorragende Stellung praedestiniert gehalten, auf Grund Ihrer seltenen Vereinigung von umfassenden wissenschaftlichen Kenntnissen und praktischen Talenten.

Da ich Sie ein Dezennium hindurch, von 1889–1899, als meinen ausgezeichneten „Ritter-Professor“ Nr. II, – und Nachfolger unseres Freundes Arnold Lang (Nr. I) sehr hoch schätzen gelernt hatte, konnte ich Sie auch bei meinem Rücktritt vom hiesigen Lehramt in die Liste der vorgeschlagenen Nachfolger aufnehmen – freilich ohne die Hoffnung, daß Sie Ihre vorteilhafte und glänzende Stellung in Breslau der Rückkehr in die viel kleineren und bescheideneren Verhältnisse von Jena opfern würden. ||

Nun haben Sie ja jetzt Gelegenheit, an dem größten und wertvollsten Zoologischen Museum des Deutschen Reiches Ihre vielseitigen und auf Ihren großen Reisen in allen Weltteilen erworbenen Kenntnisse fruchtbar zu verwerten. Ich möchte nicht unterlassen, Ihnen dazu meine herzlichsten Glückwünsche auszusprechen, sowohl in fachlichem als in persönlichem Interesse.

Da die Zahl der jüngeren Zoologen, die für Ihre Nachfolge in Frage kommen könnten, und die eine erfolgreiche Lehrtätigkeit versprechen, nicht sehr groß ist, möchte ich Sie auf meinen jüngsten und letzten Schüler aufmerksam machen (1908), Professor Julius Schaxel (aus Augsburg). Er zeichnet sich durch vorzügliches Lehrtalent und vielfältige allgemeine Bildung aus und richtet jetzt hier ein neues (von der Zeiss-Stiftung gegründetes) Institut für Experimentelle Biologie ein. ||

Anfang November werden Sie durch meinen Verleger, Kröner in Leipzig, die letzte von meinen 60 Jahre hindurch fortgesetzten biologischen Arbeiten zugesandt erhalten haben: „Kristallseelen“. Studien über das anorganische Leben – Vielleicht sind für Sie darin von Interesse die merkwürdigen (jetzt erst völlig erkannten) Beziehungen der Radiolarien zu den „Biokristallen“ und der „Promorphologie“.

Seit dem vor 3 Jahren erfolgten Tode meiner lieben Frau (– die Ihnen persönlich sehr gewogen war, und das schöne von Ihnen geschenkte Album mit italienischen Photogrammen besonders gern betrachtete –) lebe ich in meiner Villa Medusa als Eremit ganz still, in voller „Resignation“.

Da mein altes Herzleiden (mit Arterien Verkalkung etc.) sich seit 4 Monaten sehr verschlimmert hat, und da ich seit dem, vor 7 Jahren durch Sturz erfolgten Bruch des linken Hüftgelenks nicht mehr gehen kann, ist mir auch die Freude des Reisens seitdem völlig versagt. ||

Gegenwärtig bin ich nur noch mit Ordnung meines Nachlasses und Fürsorge für meine Kinder und Enkel beschäftigt. Mein einziger Sohn (49 Jahre, Maler in München) hat mich noch kurz nach Vollendung meines 80. Lebensjahres, im März 1914, mit einem Enkel beschenkt; außerdem hat er noch 2 Töchter.

Meine Tochter Lisbeth, die Frau von Prof. Hans Meyer in Leipzig, 47 Jahre, hat nur 3 Töchter; die älteste davon hat zu Neujahr 1917 einen Ingenieur Rudolf Hantzsch geheiratet und im November ein Töchterchen geboren; seitdem bin ich also: „Urgrossvater“.

Da ich wahrscheinlich nur noch wenige Monate leben werde, möchte ich Ihnen in diesem letzten Briefe nur noch meinen herzlichen Dank wiederholen für die vielen treuen Dienste, die Sie mir als ausgezeichneter Schüler und Förderer unserer Wissenschaft geleistet haben.

Mit besten Wünschen für Ihre Zukunft und das Glück Ihrer Familie

treulichst Ihr alter

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
14.01.1918
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 52650
ID
52650