Schmidt, Eduard Oscar

Oscar Schmidt an Ernst Haeckel, Gratz, 22. Januar 1871

Gratz 22.1.71.

Lieber Freund

Ich mache mich gleich an die Beantwortung Ihres eben erhaltenen Briefes und will versuchen Schatten und Licht möglichst objectiv zu besprechen.

Die Universitätsverhältnisse in Wien sind im Allgemeinen unerfreulicher Natur. Die schauderhaft grosse Stadt bringt es zum Theil mit sich, dass der persönliche Verkehr der Professoren auf ein Minimum reducirt ist. Dazu kommt, dass in der philosophischen Facultät eine bedenkliche Klikenwirthschaft besteht. Es sind allerdings in derselben vortreffliche Elemente, Scherer, Lorenz, Miklosich, Tomaschek und andere, es fehlt aber die Einheit welche unsre Facultät in Gratz wahrhaft auszeichnet. Leider sind gerade die Naturwissenschaftler, auf die der Zoolog zunächst angewiesen wäre, mehr als ungeniessbar. Von Karsten brauche ich nicht zu reden. Den Namen Brühl, der sich ein fast grossartiges Institut erzwungen, wo er Knochen schabt, brauche ich nur zu nennen. Schmarda ist ein arroganter Mensch, der eine ziemliche Rolle spielt. Es wäre für Sie von durchgreifender Wichtigkeit, dem || gegenüber aufs Reine zu sein. Soviel ich weiß, hat man ihm seine Sammung im verflossenen Jahre um einen hohen Preis abgekauft und sie ist zu seiner alleinigen Verfügung separatim aufgestellt. Unterdessen hat er (interimistisch) auch die Direction des eigentlichen zoologischen Museums der Universität übernommen und es wird sich darum handeln, ihn hier wieder hinaus zu complimentiren. Wenn Sie in dieselbe Stellung eintreten, welche Kner hatte, wenn sie nämlich abwechselnd mit Schmarda Examinator sind für Mediciner und Pharmaceuten, so werden Sie eine Fülle von Zuhörern haben mit entsprechenden Kollegiengeldern. Ich möchte Ihnen aber rathen, sich dieser Dinge zu vergewissern. Es war nämlich die Ansicht gerade derjenigen, welche vorzugsweise auf Ihre Berufung drängen (meine Freunde), dass Sie nicht als ordinärer Zoolog, sondern in allgemeinerer Bedeutung als Morpholog wirken sollten. Das wäre nun ganz schön, wenn Ihnen dabei auch die Zuhörerschaft und die Kollegiengelder gesichert wären. Bleibt es bei der bisherigen Examenordnung der Mediciner, so werden Sie an diesen – ausser dass das Kollegiengeld eine schöne Summe beträgt – wenig Freude haben. Ein gleiches gilt von den 100 und mehr Pharmakephten. Ich setze auch voraus, dass Sie in der Examinationskommission für Lehramtscandidaten sein werden, und von diesen || allein kann ein hübsches Maass an Kenntnissen verlangt werden.

Um nochmals auf das Universitäts-Museum zurück zu kommen, so hat Kner dasselbe recht hübsch ausgestattet, auch an niederen Thieren. Es würde Ihnen ja auch ein Leichtes sein, binnen 1‒2 Jahren nach Ihrem Geschmack zu ergänzen. Es ist ein einziger großer Saal im alten Universitätsgebäude mit einem kleinen Arbeitszimmerchen. Das würde sich ja aber wohl bei dem bevorstehenden Bau des Universitätsgebäudes wesentlich ändern. Der Diener oder Custos ist vorläufig mit dem Mineralogen (der alte Reuss, nicht übel) gemeinsam.

Das Kaiserliche Naturaliencabinet in der Burg ist ein sehr verrottetes Institut. Eine Benutzung seines Materials für Lehrzwecke ist unmöglich. Dagegen kommt es lediglich auf persönliche Beziehungen an, an Ort und Stelle wissenschaftliche Arbeiten vorzunehmen. Sie werden wissen, dass die Abtheilung der niederen Thiere in den Händen eines grossen Ignoranten ist, des Ritter von Frauenfeld. Wenn Sie mit ihm freundlich sind, wird er es sich zur Ehre schätzen, Ihnen gefällig zu sein.

Mit 6000 fl und den Collegien- und Examensgeldern, welche sich ja auch auf 2‒3000 fl belaufen können, werden Sie sich in Wien || das Leben so angenehm machen können, als das überhaupt möglich ist, wenn man nicht Bankier und grossartiger Rentier ist. Ein ausreichendes behagliches Quartier unter 1000 fl (im 2. oder 3. Bezirk) werden sie nicht bekommen, wenn sie nicht weit hinaus in eine Vorstadt ziehen, Sie schreiben: „Das Familien-Leben in Wien soll theuer sein!“ Ja, sehr theuer!a Unumgänglich nothwendig ist es, die Familie im Sommer wenigstens vom Juli an aufs Land zu bringen. Wenn ich z. B. daran dächte, nach Wien versetzt werden zu sollen, so behielte ich hier eine kleine Besitzung und erweiterte das Häuschen, um meine Familie schon vom Mai an hier Luft schnappen zu lassen.

Summa summarum, mit 6000 fl Gehalt würde ich die Stelle annehmen. Die Gelegenheit zu wissenschaftlichen Unternehmungen ist oft vorhanden – denken Sie nur an mich. Auch sind die Behörden immer bereitwillig zu unterstützen, man ist freigebig mit Geld, da einige 1000 fl mehr oder weniger Deficit nicht geniren.

Noch muss ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie sich jedenfalls 10 Dienstjahre als zurückgelegt anrechnen lassen müssen, womit die Pensionsfähigkeit eintritt. || Auch muss ausdrücklich stipulirt sein, dass nicht der Pensionsabzug stattfindet, nämlich im ersten Jahre das ganze Dritttheil des Gehalts. Das macht gar keine Umstände und ist sehr gewöhnlich bei Berufungen. Wenn Sie sich entschliessen zu gehen, so wäre es am Ende das Beste, sie reisten nach Wien, um persönlich im Gespräch Alles abzumachen. Sie würden finden, dass mit Stremayr und seinen Leuten ein leichter und bequemer Verkehr ist.

Kommen Sie, so müssen Sie sich mit den Ihrigen für August und September hier bei uns auf die Sommerfrische begeben. Ich besorge Ihnen dann in unserer Nähe eine reizende Erholung und wir leben wie Gott in Deutschland!

Schreiben Sie mir, sobald Sie von Wien Antwort und einen Entschluss gefasst haben. Jena werden Sie nie vergessen, so wenig wie ich, und wäre || nicht Dohrn Ihr praedestinirter Nachfolger, so möchte fast ich bei 1200 rℓ bei Ihrer Nachfolge in Concurrenz treten. Ich habe hier 2600 fl Fixum.

Zu Ihrem Töchterchen gratulire ich bestens. Grüßen Sie Ihre werthe Frau und meine Bekannten.

In alter Freundschaft

Ihr

Oscar Schmidt

a eingef.: Sie schreiben: ... sehr theuer!

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
22.01.1871
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
50029
ID
50029