Grazie, Marie Eugenie delle

Marie Eugenie delle Grazie an Ernst Haeckel, [Wien, 10. Juni 1895]

Hochverehrter Herr Professor!

Ich bin sehr erfreut, dass der günstige Eindruck, den Sie von meinem „Robespierre“ empfangen, bis zum Schlusse vorgehalten hat. Ich würde es daher auf das lebhafteste bedauern, wenn Herr Professor das Bedenken, Sich über das Werk zu äußern, nicht zu überwinden vermöchten, weil ich gerade von Ihrem Eintreten für meine Dichtung die größte Wirkung für diese, wie für die, von mir künstlerisch objectivirten || Anschauungen, die so vielfach die Ihren sind, mir verspreche. Zudem muss ich Herrn Professor nun auch als ritterlichen Vertheidiger anrufen, da ich in einem Wiener und Salzburger clericalen Blatte, in letzterem durch drei Feuilletons hindurch, gerade wegen der Beziehungen meiner Dichtung zu Ihren naturwissenschaftlichen Überzeugungen auf das Heftigste angegriffen wurde. Ich wünsche durchaus nicht, dass etwa auf die Schimpfereien dieser Leute reagirt würde; den größten || Wert aber legte ich darauf, dass von Ihnen autoritativ die Bedeutung meines „Robespierre“ für die künstlerische Gestaltung der naturwissenschaftlichen Weltanschauung bekundet würde. Wenn Herr Professor das in Ihrem letzten, liebenswürdigen Schreiben vom 2. Juni über mein Werk Gesagte, nur etwas weiter ausführen, und einfach Ihr Urtheil über meine künstlerischen Symbolisirungsversuche der neuen Weltansicht aussprechen, so ist mir und meinem Werk die beste Förderung geworden. Ich habe bisher || so viel des aesthetischen Geredes über mein Buch gehört, dass ich mich nach einer gedanklichen Beurtheilung förmlich sehne. Damit Herr Professor Ihren Aufsatz vielleicht durch biographische Daten erweitern können, beehr’ ich mich, Ihnen gleichzeitig ein Heft der Monatsschrift „Die Gesellschaft“ zu übersenden, in dem ich Mittheilungen über meinen „Lebensweg“ und in der Legende „Ruhm“ über meine Auffassung der Mission des Künstlers mache.

Was meine Pläne für den Sommer angeht, kann ich sagen, dass ich den ganzen August in Salzburg zubringen werde, und sehr erfreut und glücklicha wäre, mit Herrn Professor dort zusammentreffen zu können.

In ausgezeichneter Verehrung und Hochachtung Ihre

ergebene

M. E. delle Grazie.

a eingef.: ausdrücklich

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
10.06.1895
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 5
ID
5