Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Franz von Roggenbach, [Jena, 31. Januar 1872]

An Herrn v. Roggenbach.

Hochgeehrtester Herr Staatsminister!

Indem Euer Exzellenz mir durch Ihr hochgeehrtes Schreiben vom 24. dieses Monats an mich das Anerbieten des Lehrstuhls der Zoologie an der in Straßburg neu zu gründenden deutschen Universitäta angetragen b, haben Sie mir einen ehrenvollen Beweis von Vertrauen gegeben, für welches zunächst meinen aufrichtigsten Dank zu sagen, meine erste Pflicht ist. Leider muß ich diesem Danke zugleich die Mittheilung hinzufügen, daß ich c heute nach reiflichster Erwägung aller einschlagenden Verhältnisse d den Entschluß gefaßt habe, in meiner hiesigen Stellung zu verbleiben. Gestatten mir Euer Exzellenz diesen Entschluß, der mir nicht leicht geworden ist, || mit wenigen Worten zu begründen. Ich fühle mich zu dieser Begründung um so mehr gedrungen, als ich auf der anderen Seite es nicht nur für e einen strebsamen Gelehrten als vielversprechende Aufgabe, sondern auch für einen deutschen Mann alsf patriotische Pflicht gehalten haben würde, an der Straßburger Hochschule deutschen Geist und deutsche Wissenschaft vertreten und fördern zu helfen. Es sind vornehmlich 2 Gründe, die mich zur Ablehnung des Straßburger Lehrstuhls bestimmen. Zunächst und [Textlücke] das Verhältniß zu meinem Freunde Gegenbaur. Dieses Verhältniß ist so eigenthümlicher Art, daß es für jeden von uns Beiden unersetzlich ist. Das harmonische Zusammenwirken in gleichem Sinne und gleicher Richtung unserer Studien, Ergänzung in den verschiedenen Gebietstheilen derselben haben uns seit elf Jahren auf das engste verknüpft und im Verein mit gleichartigen Schicksalen ein Band um uns geschlungen, welches Jedem von uns Beiden den Verlust des andern g unersetzlich würde erscheinen lassen. Die Rücksicht auf dieses Verhältniß war es vorzüglich, welche mich vor einem Jahr veranlaßte, einen verführerischenh Rufe an die Universität Wien auszuschlagen, der von den verlockendsten Anerbietungen begleitet war. Dieselbe Rücksicht war auch eines derjenigen || Motive, welche vor vier Wochen meinen Freund Gegenbaur bestimmten, auf den von Ihnen ihm angebotenen anatomischen Lehrstuhl in Straßburg zu verzichten ist nun Gegenbaur [Satz bricht ab]

Wir beide haben es in diesen Tagen auf das Lebhafteste bedauert, daß die Berufung nach Straßburg nicht gleichzeitig an uns Beide gekommen ist. Wir würden dann schwerlich ihrer Anziehungskraft haben widerstehen können!

Das andere Motiv, welches mich zum Hierbleiben veranlaßt, sind die eigenthümlichen Verhältnisse des von mir vertretenen Lehrfachs. Die Zoologie ist mehr als die meisten anderen i Wissenschaften, nicht minder als die Botanik und die Zoologie, j von einem großen Apparat wissenschaftlicher Hilfsmittel abhängig. Diese Hilfsmittel, Laboratorium mit Mikroskopen und allen Instrumentenk, zoologische Special-Bibliothek, ein wissenschaftlich eingerichtetes Museum, l habe ich mir m in den elf Jahren, seit ich meine akademische Lehrthätigkeit hierselbst begann, nach und nach mit [Textlücke] so vollständig und meinen Wünschen entsprechend erworben, dass ich erst seit Kurzen mein hierbei angestrebtes Ziel erreicht habe. Dabei hatte ich viele und große Schwierigkeiten zu überwinden, und in den || zoologischen Unterrichts-Anstalten wie sie jetzt hier blühen, steckt ein gewaltiger Theil meiner Kraft. Die von meinen Reisen erworbenen Sammlungen sind alle dem Museum einverleibt. Ich würde mich nur sehr schwer von ihnen trennen! In Straßburg hätte n ich wahrscheinlich diese ganze Arbeit wieder von vorn anfangen und jedenfalls eine Reihe von Jahren mit der neuen Einrichtung des zoologischen Laboratoriums kostbare Zeit aufzuwenden, die ich jetzt hier in stiller Muße rein wissenschaftlichen Arbeiten widmen kann. Ich gestehe offen, daß auch dieser letztere Umstand mich hier wesentlich fesselt.

Vielleicht kann ich Ew. Excellenz einen Dienst erweisen und o meine dankbare Gesinnung sowie mein Interesse an der Straßburger Universitätp bethätigen, wenn ich mir schließlich erlaube, Ihre Aufmerksamkeit auf einige Gelehrte zu richten, q welche vielleicht bei der Besetzung des Straßburger Lehrstuhls für Zoologie in Frage kommen könnten. Die Zahl der tüchtigen und r gründlich wissenschaftlich gebildeten Zoologen ist s gegenwärtig außerordentlich gering. Auf || sämmtlichen Preußischen Universitäten z. B. ist kein einziger jüngerer oder älterer Gelehrter, dessen Berufung nach Straßburg mir im Interesse dieser Universität wünschenswerth erschiene. Diet seit mehr als einem Jahrzehnt jetzt in dem Berliner Unterrichts-Ministerium herrschende Miß-Verwaltung u scheint ihre Hauptaufgabe (besonders seit Johannes Müllers Tode) darin gefunden zu haben, tüchtige Naturforscher, besonders in den biologischen Fächern, von v Preußischen Universitäten fern zu halten.

Als eine erprobtew Persönlichkeit, welche sich vielleicht vorzüglich für die Straßburger Professor der Zoologie eignete, durfte Oscar Schmidt in Gratz genannt werden, ein geborener Thüringer, und wie ich ein Schüler von Johannes Müller. Allerdings istx derselbe, wenn ich nicht irre, schon im Beginn der 50 Jahre y. Allein er hat ein jugendlich frisches und anregendes Wesen und ist ein sehr beliebter Lehrer. Was ihn vor Allen Anderen z gerade für die Wirksamkeit in den neuen Reichslanden empfehlen würde, ist seine universelle Richtung und sein weit über das Fachgebiet hinausreichendes philosophisches Interesse. Sein treffliches Lehrbuch der vergleichenden Anatomie ist kürzlich in VI Aufl. erschienen. aa Vortrefflich sind seine kleinen Schriften über „Goethe [Textabbruch]

a gestr.: Gestatten Sie mir zunächst Ihnen für das ehrenvolle Vertrauen, welches Sie mir durch die Berufung auf den Lehrstuhl der in Straßburg neu zu gründenden deutschen Universität; eingef.: Indem Euer Excellenz ...deutschen Universität; b gestr.: haben; c irrtüml.: mich; d gestr.: und wenn auch mit schwerem Herzen; e gestr.: vielfach; f eingef.: deutschen Mann als; g gestr.: als; h eingef.: verführerischen; i gestr.: Hilfswiss; j gestr.: für; k eingef.: und allen Instrumenten; k gestr.: ich; m gestr.: hier; n gestr.: würde; o gestr.: einen Theil; p eingef.: sowie mein ... der Straßburger Universität; q gestr.: denen; r gestr.: wirk; s gestr.: jetzt; t irrtüml.: Das; u gestr.: hat es verstanden, gerade tüchtige Naturforscher; v gestr.: Straßburg; w eingef.: erprobte; x gestr.: steht; eingef.: ist; y gestr.: alt; z irrtüml.: empfehlen; aa gestr.: Mit

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Datierung
31.01.1872
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 49608
ID
49608