Suess, Eduard

Eduard Suess an Ernst Haeckel, Wien, 1. Februar 1871

Wien, 1. Februar 1871.

Geehrter Herr Collega

Indem ich voraussetze, daß eine kleine Schrift, in welcher das Verhältniß von Argonauta zu Ammonita besprochen ist, u. welche ich Ihnen im Laufe des vergangenen Herbstes zusandte, Ihnen richtig zugekommen sein wird, u. indem ich hoffe, daß Sie dieselbe Ihrer Aufmerksamkeit werth gefunden haben, erlaube ich mir heute Ihnen gegenüber eine vertrauliche Angelegenheit zur Sprache zu bringen, deren glückliche Lösung mir sehr am Herzen liegt.

Seine Exzellenz der UnterrichtsMinister v. Stremayr hat die Güte gehabt, mich einer Anzahl vertraulicher Besprechungen beizuziehen, welche die Hebung des naturgeschichtlichen Unterrichtes oder richtiger gesagt, die Bildung einer naturgeschichtlichen Schule im neuern u. weitesten Sinne des Wortes, u. zwar an der Wiener Hochschule zum Zwecke hatten. Es sind mir hiebei auch Ihre Briefe an den Minister mitgetheilt worden. Diese Besprechungen sind es auch gewesen, welche die wiederholte Verschiebung einer definitiven Antwort an Sie zur Fol-||ge hatten. Es hat sich nämlich bei denselben herausgestellt, daß eine wesentliche Erhöhung des Lehrzieles, eine Heranführung der Hörer bis an die äußersten Grenzen der Forschung, nicht auf dem Gebiete der Zoologie erreichbar wäre, wenn man Ihnen etwa die vacante Stelle Knerʼs übergeben und Sie mit dem systematischen Unterrichtete vor einem Publicum belasten wollte, welches, wie z. B. die Pharmaceuten an unserer Universität, nur unvollkommene Vorbildung besitzt. Ich darf sagen, daß an maßgebender Stelle für Knerʼs Lehrkanzel, also für die im erster Linie descriptive Richtung (u. folglich neben Schmarda) an maßgebender Stelle nicht mehr auf Sie, sondern auf Stein in Prag reflectirt wird, daß also Ihre kürzlich hier eingelaufene Ablehnung von Knerʼs Stelle ganz und gar mit den Anschauungen übereinstimmt, welche sich hier geltend gemacht haben.

Dagegen gedenkt Ihnen der Minister, ich sage es mit großer Freude, eine neue Lehrkanzel, nicht der systematischen Zoologie, sondern der allgemeinen Zoologie anzubieten, Stein und Schmarda die großen, descriptiven ObligatCollegia zu überlassen, Ihnen dagegen die Vertretung der höchsten Probleme unserer Wissenschaft, die Bildung von selbstständigen Forschern, die Verfolgung des höchsten Lehrzieles anzuvertrauen. Von diesem Standpunkte aus sind auch Ihre einzelnen Ansprüche beurtheilt || und, zur Ehre unserer Regierung sei es gesagt, durchwegs gebilligt worden. Der Minister will Ihnen Personalbezüge (Gehalt, Personalzulage und Quartierzulage, wie dies bei uns üblich ist) im Betrage von 6000 f. gewähren, wozu noch das Collegiengeld zu rechnen kommt; die von Ihnen angesprochene Besorgniß für Ihre Zukunft würde durch das Zugeständniß einer Anzahl für die Pension anrechenbaren Dienstjahre bei Ihrem Antritt der Professor beseitigt, obwohl Sie selbst bei näherer Kenntniß unserer Verhältnisse wohl schwerlich diese Besorgniß geäußert hätten; für ein zoologisches Laboratorium würden Ihnen die erforderlichen Mittel gewährt u. auch für die Station an der Adria würde eine principielle Zusage gemacht, auf Grund deren Sie selbst dann den Detail Vorschlag auszuarbeiten hätten, u. zwar an Ort und Stelle.

So werden Ihnen, geehrter Collega, neben Ihren großen Talenten nun auch die äußeren Mittel geboten, um eine glänzende Schule zu bilden, und an der größten deutschen Universität den Sieg der neuen naturhistorischen Anschauungen zu verkünden. Ihre Befürchtung, daß Sie sich hier in dieser Richtung isolirt fühlen würden, ist so falsch als nur möglich; ich begnüge mich hier mita der Versicherung, daß sie viele gleichdenkende Fachgenossen u. unter diesen zahlreiche warme Verehrer treffen werden, abgesehen davon, daß ich nicht zweifle, daß nach kurzer Zeit eine große Schaar talentvoller Schüler sich um Sie gesammelt haben wird. || Ich erinnere Sie nur an die Wirkung, welche Ihre Ankunft in Wien auf unsere jungen Palaeontologen ausüben würde, und in dieser Richtung rechne ich selbst im Falle Ihrer Zusage auf ein recht freundschaftliches u. collegiales Zusammenwirken.

Minister v. Stremayr, dessen aufrichtiges Interesse an der Sache Sie aus dem Gesagten wohl entnehmen mögen, hat mich ersucht, selbst nach Jena zu gehen, um persönlich mit Ihnen über die Sache zu sprechen u. ich bin bereit, etwa in einer Woche oder 10 Tagen zu Ihnen zu kommen; bis dahin rechne ich aber noch auf ein freundliches Schreiben von Ihrer Seite.

Zum Schlusse erlauben Sie mir noch eine ganz bestimmte Forderung auszusprechen. Außer einem kleinen Kreise der höchsten Beamten des Ministeriums u. mir selbst ist Niemand von diesen Vorgängen u. den Plänen des Ministers unterrichtet; es ist um so wichtiger, daß diese Correspondenz eine vertrauliche bleibe, als noch andere weitgehende Schritte zur Reform des naturgeschichtlichen Unterrichts in anderer Richtung unternommen werden sollen. Ich rechne daher darauf, daß auch diese Zeilen nicht der Gegenstand von Mittheilung an dritte Personen sein werden. Fällt dann Ihr Entschluß zustimmend aus, so hoffe ich mit Zuversicht darauf, daß in Wien die Gründung einer großen neuen Stätte der Forschung und der Lehre auf dem Gebiete der Biologie zur Wahrheit wird.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebener

Ed. Suess

Wien, Praterstr. 35.

a gestr.: auf; eingef.: mit

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
01.02.1871
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 49587
ID
49587