Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Ludwig Karl Aegidi, [Berlin, November 1860]

Verehrter Herr Professor

Ihren verehrten Brief vom [10. November] a erhielt ich heute früh und habe den ganzen Tag die Sache nach allen Seiten nochmals der reiflichsten Erwägung unterzogen, auch die Sache sowohl mit meinen Eltern als mit den competentesten Freunden möglichst gründlich besprochen. Es thut mir leid Ihnen sagen zu müssen daß mein Entschluß nicht nach Ihrem Wunsche ausgefallen ist. Ich habe mich schließlich mit der größten Entschiedenheit dafür aussprechen müssen, aufb meine Zurückziehung der Bewerbung um die vereinigte Professur zu bestehen. Mein erster Entschluß nach Empfang Ihrer Zeilen, war selbst nach Hamburg zu kommen und die c verwickelte Angelegenheit durch || mündliche Besprechung zu erledigen. Bald aber, nachdem ich über den eingeschlagenden Weg vollkommen sicher und klar geworden war, erschien es mir d besser, Ihnen die leitenden Gesichtspunkte schriftlich, und damit um so klarer und bestimmter, darzulegen. Zunächst werden Sie selbst zugeben, daß doch ein großer Wankelmuth und eine beträchtliche Characterschwäche dazu gehörten, den dann schon geänderten Entschluß nochmals wankend zu wenden, und nachdem ich erst ja, dann nein gesagt habe, nochmals auf das ja zurückzukommen. e Abgesehen von dringenden Rücksichten, hätte ich mich vielleicht hätte ich mich vielleicht – hätte ich mich allenfalls dazu entschließen können, wenn der Entschluß zur Zurücknahme der Bewerbung unter f uns dreien geblieben wäre. Allein ich habe gleichzeitig Herrn Professor Wiebel davon in Kenntniß gesetzt und dieser wird || vielleicht schon davon Gebrauch gemacht haben. Ich hielt mich um so mehr zu diesem Schritt g verpflichtet, als Wiebel, der sich für meine Berufung besonders zu interessiren scheint, nach allem, was ich bisher ersehe, sich in durchaus ehrenhafter und rechtlicher Weise für mich verwandt hat. Der Entschluß, die Bewerbung um die vereinigte Professur definitiv aufzugeben, geschah wahrlich nicht aus vorübergehendem Wankelmuth. Schon h die zu der zweiten Bewerbung i konnte ich mich nur mit schwerem Herzen und von mehreren Seiten gedrängt, entschließen. Die vielen und gerechten Bedenken, welche [sich] gegen die gleichzeitige Übernahme d. Zoologie und Botanik erheben lassenj, standen mir lebhaft vor Augen. Allein ihr volles Gewicht erhielten dieselben erst durch die nachfolgende reifliche Erwägung mit competentesten Freunden. || Insbesondere hat schließlich definitiv bestimmend auf mich ein Brief meines Freundes Gegenbaur gewirkt, welcher mir bei der jetzigen Sachlage ebenso dringend abrieth, die vereinigte Professur zu übernehmen als er vorher lebhaft wünschte, daß ich die zoologische Sache erhalten möchte. Ich habe also den Entschluß, die Botanik definitiv aufzugeben, nach bestem Wissen und Gewissen gefaßt und glaube in dieser Beziehung durchaus meine Pflicht erfüllt zu haben. Würde ich mir nicht mein ganzes Leben haben Vorwürfe machen müssen, eine Stellung übernommen zu habenk, der ich nicht in ihrem ganzen Umfange nicht gewachsen bin? Sie werden sagen, ich hätte mir das früher überlegen können; allein die ganze Wucht der Verpflichtungen, die mit der Übernahme einer Direction des botanischen Gartens und zweier Professuren verbunden sind, ist mir erst später fühlbar geworden. || Der einzige Punkt, der mich heute wieder wankend macht und l geneigt ihrem Wunsch zu entsprechen, war der Umstand, daß ich Sie, verehrter Freund, dadurch in unangenehme Verlegenheit zu verwickeln schien, m ein Verhältniß der Umstände, das mir, offen gestanden, nicht klar ist. Haben sich wirklich so viele ausgezeichnete Gelehrte um die Hamburger Stelle beworben, so wird es Ihnen nicht schwer fallen, einen besseren Erfahrenen für mich heraus zu finden. Auf der Wahlliste ohne Erfolg zu figuriren, ist, offen gestanden nicht mein Wunsch n und ich kann darin keineswegs o eine solche Ehre p finden, für welche Sie es zu halten scheinen. Es thut mir leid, daß wir hierin abweichende Ansichten haben und ich wiederhole nochmals es thut mir || sehr leid, daß ich Ihnen vielleicht dadurch irgend welche Unangenehmlichkeiten bewirkt habe. Indessen konnte ich nach bester Überzeugung nicht anders handeln und ich hoffe, daß dieser unschöne Zwischenfall keine Störung unseres freundschaftlichen Verhältnisses haben wird.

Mit der aufrichtigen Versicherung nach wie vor Ihrer Freundschaft werth zu halten.q

Ihr E. Haeckel.

a gestr.: habe; b eingef.: auf; c gestr.: Sache und Personen ins Angesicht zu sehen; d gestr.: s; e gestr.: Ich konnte; f gestr.: wegen; g gestr.: be; h gestr.: die; i gestr.: , welche noch; j korr. aus: hassen; k korr. aus: auszufüllen; l ihrem W; m gestr.: Umstand und Compli; n gestr.: und ich sehe in; o gestr. so; p gestr.: zu; q irrtüml.: halften

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
11.1860
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 49387
ID
49387