de Gruyter, Walter

Walter de Gruyter (Verlagsbuchhandlung Georg Reimer in Berlin) an Ernst Haeckel, Berlin, 22. Juli 1915

VERLAGSBUCHHANDLUNG

GEORG REIMER IN BERLIN

W 10, GENTHINERSTRASSE 38

Berlin, den 22. Juli 1915.

Hochzuverehrender Herr Geheimer Rat!

Ihr mich erst gestern erreichender gütevoller jüngster Brief ist ein mich beglückendes Zeichen Ihrer Anhänglichkeit an meinen Verlag wie auch Ihres persönlichen Wohlwollens, für das ich Ihnen von ganzem Herzen danke. Aus solcher Empfindung bringe ich nur zögernd die Bedenken zum Ausdruck, die mich Ihrer Anregung gegenüber in der Gegenwart erfüllen. Der wissenschaftliche Verlag, für den seit Ausbruch des Krieges fast volle Windstille eingetreten ist, wird auch nach dem glücklichsten Frieden erst ganz allmählich wieder seine Segel nutzen können. Die völlige Absperrung vom feindlichen Auslande, die Unterbindung des Lehrbetriebes draussen und daheim, die starke Minderung der schöpferischen Kräfte, die wirtschaftliche Schwächung des Büchermarktes werden auch nach dem Kriegsende den deutschen wissenschaftlichen Verlag noch lange einengen und daruma seine Wiedergesundung b für geraume Zeit auf die Beobachtung starker Zurückhaltung angewiesen sein. Davon werden, entsprechend der verminderten Kaufkraft, diejenigen Bücher besonders betroffen werden, die ich die abgeleiteten nennen möchte; Bücher, die in gewissem Sinne eine Wiederholung und Ausmünzung darstellen, und die, so wertvoll und unentbehrlich sie sind, doch in der Zeit einer wirtschaftlichen Rekonvaleszenzc zurückstehen müssen, zumal, wenn sie, wie in diesem Falle, unter dem Zeichen hoher Herstellungskosten stehen. Denn allein die Anfertigung der Stöcke wird, soweit eine Schätzung zur Zeit möglich ist, leichtlich einen Betrag von M 2500.- bis M 3000.- beanspruchen und || so wird das Buch, trotz Ihrem und Ihrer und Ihrer Fräulein Enkelin opferwilligen Verzicht, auch im Ladenpreise nicht billig werden können. Dazu kommt, dass, wie ich glaube, die Anteilnahme unseres gebildeten und Bildung suchenden Publikum nach dem Kriege zunächst vielfach andere Wege einschlagen und dass selbst das Interesse auf dem Gebiete der Naturphilosophie und den verwandten Grenzgebietend eine vorübergehende Ebbe zeigen wird.

So wage ich denn, an Eure Exzellenz die Frage zu tun, ob es nicht besser wäre, die Ausführung Ihres Planes zu vertagen. Freilich stelle ich sie, worauf Sie selbst hinweisen, an einen Einundachtzigjährigen; aber vielleicht ginge es auch so, dass Sie heute im Verein mit Ihrer Fräulein Enkelin das Manuskript zusammenstellen, die Drucklegung aber einer späteren Zeit vorbehielten.

Vermögen Sie meine Zweifel nicht zu teilen oder aus anderem Grunde meiner Anregung nicht beizutreten, so ist es selbstverständlich, dass ich die Verwirklichung Ihres Gedankens an anderer Stelle nach meinen Kräften zu fördern bemüht sein will. Des zum Zeichen lasse ich Ihnen gleichzeitig hiermit ein vollständiger Exemplar Ihres 1862 bei mir erschienenen Werkes für Ihren oder für Ihrer Fräulein Enkelin Besitz zugehen und werde jede Entschliessung, die Sie in dieser Angelegenheit treffen, billigen und würdigen.

Wir haben, hochverehrten Herr Geheimrat, vor nicht langen Jahren darüber gesprochen, dass Sie Ihre „Lebenserinnerungen“ aufzeichnen und unter Umständen mir anvertrauen wollten. Wenn ich in diesen Zeilen daran erinnere, so geschieht es, um die Bemerkung daran zu knüpfen, dass das Interesse an einem solchen Buche zeitlos ist; d. h., dass es wann immer es kommt, zur rechten Zeit kommt.

Haben Sie nach Lesung dieser Zeilen den Wunsch, mich in Jena zu sehen, so finde ich mich im Laufe der nächsten Wochen mit || tausend Freuden bei Ihnen ein und würde darin ein willkommenes Zeichen dafür erblicken, Ihnen mit diesen Zeilen nicht weh getan zu haben.

Mit dem Ausdrucke verehrungsvoller Zuneigung

Euer Exzellenz ganz ergebener

WdeGruyter

P. S.: Vom zweiten Teile der Radiolarien lasse ich wunschgemäss ein Exemplar an die Bibliothek des Phyletischen Archivs gehen.

a eingef.: darum; b gestr.: wird; c Rekonvalessenz; d eingef.: und den verwandten Grenzgebieten

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
22.07.1915
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Jena
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 48524
ID
48524