Haeckel, Ernst Heinrich Philipp August

Ernst Haeckel an Anna Sethe, Jena, 23. März 1862

Jena 28.3.62.

Lieber wär ich heut schon bei Dir, liebster Schatz, statt noch einmal zu schreiben; das reizende Frühlingswetter vermehrt Sehnsucht und Ungeduld ganz gewaltig; aber ein paar Tage müssen wir noch Geduld haben! Ich werde zwar noch heute Abend mit dem Buche fertig, habe aber nun noch die Präparate in Lack und Balsam einzulegen, was mich mindestens noch 2 Tage kostet. Frühestens kann ich also Montag 31.3 Abends kommen. Wundere Dich aber nicht, wenn ich erst Dienstag (1.4) oder gar Mittwoch Abend komme; ich kann nicht sicher bestimmen, ob ich bis Montag ganz fertig werde, da ich auch noch auf dem zoologischen Museum Mehreres zu ordnen habe und überdies für Einpacken des Winter-Quartiers etc etc auch noch einige Stunden brauche. Jedenfalls finde ich wohl bei meiner abendlichen Ankunft ein gewisses kleines reizendes Frauenzimmerchen in dem Eckhause der Linksstraße, selbst wenn ich erst Mittwoch Abend kommen sollte! Oder ist die Entfernung vom Hafenplatz zu groß?? – Wie glücklich ich bin, jetzt mit dem stattlichen Werke, der 2½ jährigen angestrengten Arbeit fertig zu sein, wirst Du mit mir fühlen; das Glück darüber hat die traurige Stimmung, in der mich das Mißlingen unserer nächsten Pläne Anfang diesera Woche noch erhielt, allmählich || fast ganz überwunden, und ich freue mich unendlich, daß ich nun einmal wieder recht nach Herzenslust mit Dir zusammen das Dolce far niente üben kann. Du kriegst also einen ganz munteren und glücklichen Erni, der freilich lieber als Professor zu Dir käme. Nach einer gestrigen Andeutung Gegenbaurs glaube ich allerdings, daß im Sommer die Ernennung erfolgen wird; vorher aber schwerlich. Mit dem gemeinsamen Sommerleben ist es also wohl vergebliche schöne Hoffnung gewesen und wir müssen uns zum Herbste rüsten, der endlich, endlich gewiß Erfüllung bringen wird. Vorläufig wollen wir uns durch die gescheiterte Hoffnung die schönen 4 Ferienwochen nicht trüben lassen und sie recht nach Herzenslust genießen. – Was sagst Du denn dazu, daß ich vorigen Donnerstag mit Gegenbaur und Gerhard in Weimar war, um die Ristori als Medea zu sehen, ein wahrhaft herrlicher Genuß! Einliegende Zettel schicke sogleich in die Druckerei.

Suche doch Vater zu bereden, daß er die jammervolle Allgemeine Berliner Zeitung abschafft!

Mein Quartier habe ich bereits gekündigt. Also hoffentlich Montag oder Dienstag Abend.

Noch einen schriftlichen Gruß und Kuß von Deinem treuen Erni, der sich außerordentlich auf seinen lieben herzigen Schatz freut. Auf frohes Wiedersehn!

b N.B. Ich erwarte natürlich bestimmt, daß Du Deine Erkältung ganz abgeschafft hast!

a gestr.: voriger; eingef.: dieser; b weiter am Rand v. S. 2: Ich erwarte natürlich…ganz abgeschafft hast!

 

Letter metadata

Datierung
28.03.1862
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 48386
ID
48386