Bericht des Dekans der philosophischen Fakultät, Jena, 14. November 1908

Philosophische Fakultät

der Universität Jena

Jena, den 14. November 1908.

Magnifice Academiae Prorector!

Denominationsbericht

Der philosophischen Facultät be-

treffend die ordentliche Professur

für Zoologie

Nachdem Professor Ernst Haeckel am 12. Oktober der Philosophischen Facultät seinen Entschluß mitgeteilt hat, die von ihm seit 44 Jahren bekleidete ordentliche Professur der Zoologie und die damit verbundene Direktion des zoologischen Museums Ostern 1909 aufzugeben, bringt die Fakultät für seine Nachfolge zunächst folgende drei Ordinarien einstimmig in Vorschlag:

1. Prof. Arnold Lang (Zürich)

2. Prof. Willy Kükenthal (Breslau)

3. Prof. Ludwig Plate (Berlin)

I. Arnold Lang, 53 Jahre (geboren 18. Juni 1855 in Oftringen, Kanton Aargau), studierte 1873-76 in Genf und Jena, || promovierte 76 in Jena, war 76-78 Privatdozent in Jena, 78-85 Assistent an der Zoologischen Station in Neapel, 85-86 Privatdozent in Jena. Im Herbst 1886 übernahm er die neu gegründete „Ritter-Professur für Phylogenie“ in Jena, die er drei Jahre hindurch bekleidete. Seit Herbst 1889 ist er Ordinarius für Zoologie und Vergleichende Anatomie an der Universität und am Polytechnikum in Zürich, und Direktor des Zoologischen Instituts. Seine zahlreichen Arbeiten betreffen größtenteils die vergleichende Anatomie und Systematik der wirbellosen Tiere, vorzugsweise Platoden. Eine große und glänzende Monographie der Polycladen (Seeplenarien) des Golfes von Neapel erschien 1884, ausgezeichnete experimentelle Untersuchungen über die Varianten und Bastardbildungen der Helix-Arten 1904-1908. Seine wertvollste und umfassendste Publikation ist das große „Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Wirbellosen Tiere“ (1894, II. Auflage 1901). Lang gilt jetzt allgemein als einer der ersten Zoologen, ist ein ausgezeichneter Lehrer || und erfreut sich als Director ein eines großen Instituts eines ausgedehnten Wirkungskreises, als Persönlichkeit der höchsten Achtung. ||

II. Willy Kükenthal, 47 Jahre (geb. 4. 8. 1861 in Weissenfels a/S.), studierte in Jena und München, promovierte 1884 in Jena, habilitierte sich hierselbst Ostern 1887. Im Herbst 1889 übernahm er die durch den Weggang von Arnold Lang erledigte Ritter-Professur für Phylogenie, welche er neun Jahre hindurch bekleidete. Seit Herbst 1898 ist er Ordinarius für Zoologie und vergleichende Anatomie an der Universität Breslau und hat daselbst ein großartiges neues Zoologisches Institut gegründet. Mehrere große Forschungsreisen führten ihn nach Ostindien (Molukken, Borneo) und nach Westindien (Antillen) und Nordamerika. Behufs näherer Kenntnis der Waltiere (Cetaceen) unternahm er zweimal eine Reise nach Spitzbergen und beteiligte sich selbst am Walfischfang, sowie an || den Sammlungen der arktischen Meeres-Fauna.

Unter seinen zahlreichen und vielseitigen Arbeiten sind hervorzuheben die vergleichend-anatomischen und systematischen Untersuchungen über Anneliden und Korallen, sowie über Skelet und Dentition der Säugetiere, besonders der Walfische. Mehrere große und wertvolle Arbeiten über Waltiere sind in den Denkschriften unserer naturwissenschaftlichen Gesellschaft publiciert. Seine erfolgreichste Leistung ist der vortreffliche „Leitfaden für das zoologische Praktikum“, geschrieben auf Grund der reichen Erfahrungen, die er im Laufe der 12 Jahre in dem gemeinsam || mit Prof. Haeckel (früher als dessen Assistent, später als Ritter-Professor) geleiteten praktisch-zoologischen Übungen sich erworben hatte. Kükenthal gilt ebenso wie Lang als ausgezeichneter Lehrer und Museums-Direktor; beide vereinigen in sich großes Talent für die anregende Behandlung allgemeiner Fragen und || für die gründliche Untersuchung spezieller Objecte. Dasselbe gilt auch von dem jüngeren Zoologen, der an dritter Stelle zu nennen und ebenfalls ein Schüler von Professor Haeckel ist. ||

III. Plate (Ludwig), 46 Jahre alt, geb. zu Bremen 16. 8. 1862, Sohn eines Oberlehrers, studierte 1882-1887 in Jena, Bonn und München Naturwissenschaften und Mathematik, promovierte als Dr. phil. am 31. Juli 1885 in Jena „Magna cum laude“, bestand das Oberlehrer-Examen (mit Zeugnis ersten Grades) in Bonn am 12. 2. 87, habilitierte sich für Zoologie in Marburg (März 88), in Berlin (August 95), wurde Professor (extraordin.) 1898 an der Tierärztlichen Hochschule in Berlin. 1901 übernahm er die Einrichtung der Biologischen Abteilung des neuen Museums für Meereskunde in Berlin, die er in vorzüglicher Weise ausführte; sie gab ihm Gelegenheit seine umfassenden Kenntnisse in Systematischer Zoologie und sein praktisches Talent für Museumskunde zu entfalten. || Hierbei kamen ihm besonders die reichen Erfahrungen zu statten, die er auf seinen großen wissenschaftlichen Reisen gesammelt hatte. 1893-1895 bereiste er im Auftrage der Berliner Akademie der Wissenschaften die Westküste von Süd-Amerika. Im Auftrage des Museums für Meereskunde sammelte und beobachtete er 1901-2 im Orient (Griechenland, Egypten, Rotes Meer), 1904-1905 an der Ostküste von Nord-Amerika und auf den Bahama-Inseln.

Seit 1905 ist er auch etatsmässiger ordentlicher Professor der Zoologie an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin und Direktor des zugehörigen Museums.

Die zahlreichen Publikationen von Plate (über 70, darunter 27 größere) zeichnen sich sowohl durch Schärfe und Gründlichkeit der Beobachtung aus, wie durch Klarheit und Kritik in der Behandlung allgemeiner Fragen. In der ausgedehnten Literatur der Entwickelungslehre stehen seine Arbeiten mit in erster Linie, insbesondere sein Buch über „Selections-Princip und Probleme der Artbildung.“ (Ein Handbuch des Darwinismus (1908 in der dritten Auflage erschienen). Seine speziellen Arbeiten (über 50) haben sowohl die Morphologie und Systematik, als die Bionomie und Chorologie der wirbellosen Tiere sehr gefördert, besonders im Gebiete der Mollusken; auf diese beziehen sich etwa 30 Abhandlungen, während 20 auf die Crustaceen, Rotatorien und Protozoen fallen.

Die Lehrbefähigung von Plate gilt allgemein als ausgezeichnet und ist wohl neben dem hohen Werte seiner anerkannten Arbeiten der Grund, daß alle befragten Kollegen ihn einstimmig als besonders geeignetena Nachfolger von Professor Haeckel erklären. Auch war er von letzterem schon vor zehn Jahren, als durch den Abgang von Prof. Kükenthal die hiesige „Ritter-Professur für phylogenetische Zoologie“ erledigt wurde, für diese an erster Stelle vorgeschlagen, wurde aber dann von der Fakultät an zweite Stelle gesetzt, weil seine große Selbstständigkeit ihn gerade für diese Stellung weniger geeignet erscheinen ließ, auch im Hinblick auf seine günstige Berliner Stellung keine Aussicht bestand, ihn dafür || zu gewinnen.

Die philosophische Fakultät stellt demnach den Antrag der illustre Senat wolle ihre Vorschläge mit befürwortenden Bericht an die Durchlauchtigsten Erhalter gelangen lassen.

Hochachtungsvoll

Hirzel

d. Z. Dekan

a gestrichen: geeignetsten, eingefügt: besonders geeigneten. Vermerk von Berthold Delbrück: Corrigiert auf Wunsch des Dekans der ph. Fak..der im Senat ausgesprochen wurde Dbr.

Brief Metadaten

ID
47908
Gattung
Brief ohne Umschlag
Institution von
Philosophische Fakultät der Universität Jena
Institution an
Prorektor und Senat der Großherzoglichen und Herzoglichen Gesamt-Universität Jena
Entstehungsort
Zielort
Datierung
14.11.1908
Umfang Seiten
8
Umfang Blätter
4
Besitzende Institution
Universitätsarchiv Jena
Signatur
UAJ, BA 924, 1r-4v
Zitiervorlage
Hirzel, Rudolf an Delbrück, Berthold; Jena; 14.11.1908; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_47908