Ernst Haeckel an den Senat der Universität Jena, Jena, 14. März 1907
An den Illustren Senat der Universität Jena
Jena, 14. März 1907
Aus Anlaß meines fünfzigjährigen Doktorjubiläums, am 7. März d. J., hat der Illustre Senat unserer Thüringer Gesammt-Universität Jena, welchem ich seit 42 Jahren anzugehören die Ehre habe, mir Seine Anerkennung meiner hiesigen akademischen Wirksamkeit in einer Form ausgesprochen, welche mich auf das Höchste erfreut und gerührt hat. Nicht allein hat der hohe Senat in einer glänzend abgefaßten (– wohl allzu rühmlichen –) lateinischen Glückwunsch-Tafel meine Verdienste als Lehrer und Schriftsteller gefeiert, sondern auch am 27. Februar mir die besondere Ehre erwiesen, mir Seine Glückwünsche durch Seine Magnificenz den Herrn Prorektor und die Grosse Senats-Deputation, der sich die meisten Herren Collegen persönlich anschlossen, mündlich aussprechen zu lassen.
Diese Beweise collegialen Wohlwollens und freundlicher Anerkennung meiner hiesigen, nunmehr 46 jährigen Docenten-Tätigkeit haben mir die höchste Befriedigung gewährt – mehr || als die vielen anderen Beweise der Zuneigung Hochachtung, welche mir in diesen Tagen von nah und fern zugegangen sind. Ich schätze sie um so höher ein, als ich wohl weiß, dass viele der hochgeehrten Herren Collegen keineswegs die allgemeinen Anschauungen teilen, zu denen ich durch meine naturwissenschaftlichen Forschungen – in menschlicher Weise vielfach irrend – gelangt bin.
Sehr wohl bleibe ich mir bewußt daß alles was ich im Laufe eines halben Jahrhunderts durch emsige Arbeit, durch Lehre und Schrift erreicht habe, weit hinter den hohen Zielen zurückgeblieben ist, die ich mir gestellt hatte. Vielfach habe ich in Folge einseitiger Anschauungen irrtümliche Pfade eingeschlagen und infolge mangelhafter Kenntnisse mich zu schiefen Urteilen verleiten lassen; aber stets hat mir unverrückt das ferne Ziel vorgeschwebt, durch die tiefere Erkenntnis der Natur und ihrer Entwickelung die Wahrheit zu entdecken und ihre Lehre zu verbreiten. Daß meine hochverehrten Collegen gerade diese menschlichste Seite meiner langen und vielbewegten Lebensarbeit – trotz aller Fehler meines Temperamentes und aller Lücken meines Wissens – wohlwollend anerkannt und meinen Charakter gebührend eingeschätzt haben, gereicht mir zur höchsten Ehre und Freude. ||
Indem ich dem Illustren Senat für diese hohe Auszeichnung meinen wärmsten, tiefempfundenen Dank ausspreche, schließe ich daran die freundliche Bitte, mir sein schätzbares kollegiales Wohlwollen auch für den noch übrigen, voraussichtlich kurzen Rest meiner hiesigen akademischen Wirksamkeit bewahren zu wollen.
In vorzüglicher Verehrung
Ernst Haeckel.