Goetz, Georg; Haeckel, Ernst

Bericht der philosophischen Fakultät an Prorektor und Senat, Jena, 15. Februar 1886

Bericht der philosophischen

Facultät die Habilitation

des Herrn Dr. Johannes Walther

betreffend

Magnifice!

Herr Dr. Johannes Walther wünscht sich an unserer Universität für Palaeontologie und Geologie zu habilitiren. Derselbe ist geboren am 20. Juli 1860 in Neustadt a/Orla, besuchte von Ostern 1874 bis Sommer 1875 das Gymnasium in Eisenach, verliess dasselbe jedoch als Secundaner, um sich von einem durch einen Sturz zugezogenena Nervenleiden zu erholen. Im Jahre 1877 trat er wieder in die Schule ein, sah sich jedoch bald darauf genötigt aus Gesundheitsrücksichten den Schulbesuch definitiv aufzugeben, und entschloss sich, die Landwirthschaft zu ergreifen. Von dieser Beschäftigung nicht befriedigt machte er im Frühjahr 1879 den Versuch, sich durch Privatstudium auf das Abiturientenexamen vorzubereiten, musste jedoch seiner Gesundheit wegen auch dieses Mal wieder Abstand davon nehmen. Durch besonderen Dispens wurde er im Wintersemester 1880/81 als Student der Naturwissenschaften immatrikuliert und bestand im Juni 1882 die Doktorprüfung magna cum laude. Im folgenden Winter arbeitete er in Leipzig unter den Professoren Credner und Leuckart, im Sommer darauf in München im palaeontologischen Institut unter Professor Zittel, im Winter 1883/84 an der zoologischen || Station in Neapel unter Professor Dohrn, vorzüglich mit der Geologie des Meeres beschäftigt. Nach verschiedenen geologischen Excursionen in Italien betheiligte er sich im Sommer 1884 als Volontär an der von der österreichischen geologischen Reichsanstalt unter Mojsisovics’ unternommenen geologischen Arbeiten in den Steirischen und Kärntner Hochalpen und machte später längere Excursionen in Thüringen und dem Rhöngebirge. Im Winter 1884/85 arbeitete er abermals in München, ging dann mit Unterstützung der Berliner Akademie im Frühjahr 1885 zum zweiten Mal nach Neapel, um den Meeresgrund geologisch zu durchforschen, und studirte im Sommer desselben Jahres die Vulkangebirge der Eifel und der Pfalz. Im Drucke erschien abgesehen von seiner Promotionsschrift (die Entstehung der Deckknochen am Kopfskelett des Hechtes) eine Arbeit über die gesteinsbildenden Kalkalgen des Golfs von Neapel und die Entstehung der structurlosen Kalke in der Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft (Jahrg. 1885).

Unter Berücksichtigung sowohl des vorzüglichen Eindrucks den Herr Dr. Walther während seiner Studien an unserer Universität nicht nur auf die Vertreter der Naturwissenschaften, sondern auch auf seinen Lehrer in der Philosophie gemacht hatte, als auch der als vortrefflich anerkannten Habilitationsschrift glaubte die Facultät von der Forderung des Maturitätszeugnisses absehen zu sollen.||

Die Habilitationsschrift bietet Untersuchungen über den Bau der Crinoiden der Solnhofer Schiefer und Kelheimer Diceraskalke und kann sowohl in Hinsicht auf die Methode, mit der die entwickelungsgeschichtlichen Daten der lebenden Crinoiden zur Klarstellung der complizirten anatomischen Verhältnisse der fossilen Crinoiden verwerthet wurden, als auch auf die Durchführung im Einzelnen, die Darstellung mit eingeschlossen, als eine vorzügliche Leistung bezeichnet werden. Selbst wenn die neuen Anschauungen über die Morphologie und Phylogenie, wie sie in dieser Arbeit vorgetragen werden, Widerspruch finden sollten, so würde der heuristischeb Werth derselben dadurch nicht herabgemindert werden.

An dem Colloquium betheiligten sich die Herren Collegen Steinmann, Haeckel und Sohncke. Die in gewandter und gewählter Ausdrucksweise gegebenen Auseinandersetzungen über die palaeontologisch wichtigen älteren Vertreter der Echinodermen, über die ausgestorbenen Cephalopodengruppen, über das Auftreten der eruptiven Formationen, über vergleichende Morphologie und Phylogenie der Echinodermen und über die Ursache der Erdbeben machten den Eindruck, dass Herr Dr. Walther für den academischen Beruf durchaus geeignet sei.

Da nun auch der Nachweis der Mittel zu einem standesgemäßen Leben erbracht ist, so beantragt die unterzeichnete Facultät, der illustren Senat wolle das Habilitationsgesuch des Herrn Dr. Walther mit befürwortendem Berichte an die Durchlauchigsten Erhalter gelangen lassen.

Ehrerbietigst verharrt

die philos. Fac.

a von Ernst Haeckel eingefügt: einem, durch einen Sturz zugezogenen; b von Ernst Haeckel eingefügt: heuristische

 

Letter metadata

Gattung
Empfänger
Datierung
15.02.1886
Entstehungsort
Zielort
Jena
Besitzende Institution
Universitätsarchiv Jena
Signatur
UAJ, M 644, 100r-101r
ID
47713