Erich Meyer an Ernst Haeckel, Dahlem, 14. Februar 1909
Dahlem, den 14 Febr 1909
Hochverehrter Herr Geheimrat!
Erlauben Sie bitte, daß wir Ihnen mit unseren wärmsten Glückwünschen zu Ihrem Geburtstage wieder eine kleine Kunstform unserer häuslichen Marzipanindustrie, eine Cladodactyla crocea, übersenden! Das Material beding-||te leider einige Abweichungen von der Wirklichkeit; auch fürchten wir, das etwas zerbrechliche Gebilde wird nicht ganz unverletzt anlangen!
Mit großer Bewegung haben wir von den Ereignissen der letzten Tage in Jena gelesen und es war uns sehr leid, daß wir nicht hinüberkommen konnten.
Für mich gehört das eine Semester in Jena, wo unter den Dozenten und Studierenden so ganz Ihr Geist zu || herrschen schien, zu den für meine Entwicklung bestimmendsten Erlebnissen. Trotzdem ich gerade in jener Zeit einen unendlich schweren Verzicht zu leisten hatte auf eine Hoffnung, an der ich viele Jahre mit ganzem Herzen gehangen, wurde ich durch die kurze Jenenser Zeit, durch die dort allerseits in Tat umgesetzte neue weltfreudige, arbeitsfreudige Lebensanschauung über alle Entmutigung hinausgehoben und mir neuer innerer Frieden, neue Kraft zu neuem Da-||sein geschenkt. Das danke ich in erster Linie, hochverehrter Herr Professor, Ihrer Persönlichkeit und der durch Sie vermittelten Weltanschauung.
Daß diese zum Heil der Menschheit immer mehr an Boden gewinnen und daß Sie, verehrter Herr Geheimrat, sich noch recht lange am Gedeihen Ihres Werkes erfreuen können, das wünsche ich Ihnen in tiefer Dankbarkeit zum heutigen Tage! und meine Frau schließt sich diesem Wunsche von ganzem Herzen an!
In herzlicher Verehrung
Ihr ganz ergebener
Erich Meyer