Ernst Haeckel an Karl Haeckel, Jena, 10. Februar 1891
VILLA HAECKEL. JENA, DEN 10. Februar 1891.
Liebster Bruder!
Mit hochbeglücktem Herzen theile ich Dir heute eine Freuden-Bothschaft mit, die allerdings erst übermorgen das Licht der Welt erblicken soll; morgen kannst Du sie noch vertraulich für Dich behalten! Unsere liebe Lisbeth hat sich gestern verlobt, und zwar mit Dr. jur. Hans Meyer, dem berühmten Ersteiger des Kilimandjaro, dessen Reise um die Welt (1882–83) Du, wenn ich nicht irre, schon einmal von mir geliehen u. gelesen hast. ||
Als Hans Meyer vor drei Jahren hier einen Vortrag über seine erste Reise nach Ost-Africa hielt, gefiel er mir außerordentlich; der Gedanke stieg in mir auf: „So einen tüchtigen und prächtigen jungen Mann möchte ich einmal zum Schwiegersohn haben!“ Heute hat sich dieser stille Wunsch überraschend schnell erfüllt! Am 10. Januar, als Lisbeth ihren 20. Geburtstag feierte, lernte Hans auf unserem Prorectorats-Balle in der „Rose“ Lisbeth kennen. Der Eindruck war gegenseitig so ein tiefer, daß er schon in der folgenden Woche von Leipzig herüber kam und uns wiederholt besuchte. Auf einem gemeinsamen Spaziergange gestern Nachmittag (an der Melusinen-Quelle im Mühlthal, beim herrlichsten Sonnenschein!) wurde das junge Paar einig. || Meine Frau und ich sind Beide von der Persönlichkeit unseres Schwiegersohnes außerordentlich eingenommen, und fest überzeugt, daß er für Lisbeth der rechte Mann ist. Da bisher niemals ein junger Mann einen tieferen Eindruck auf sie gemacht hatte, waren wir sehr bald überzeugt, daß ihre Neigung eine entscheidende sein würde. Hans ist 32 Jahre alt, und der älteste der drei Brüder, welche das große „Bibliographische Institut“ in Leipzig (früher Hildburghausen) haben, Verleger von dem großen Conversations-Lexicon, Brehm’s Thierleben etc. etc. Seine frische, energische und liebenswürdige Persönlichkeit sind mir sehr sympathisch, und besonders a seine Einfachheit und Anspruchslosigkeit, trotz der glänzenden Verhältnisse, in denen M. in Leipzig (in eigenem Hause) lebt. || Leider ist meine arme Frau wieder seit mehreren Wochen sehr leidend, an einem neuen sehr schmerzhaften Anfall ihrer alten Nierenkolik. Doch konnte sie gestern Abend einige Stunden mit uns zusammen sein. Im Mai soll sie nach Carlsbad gehen.
– Theile diesen Brief übermorgen (Donnerstag), wo die Verlobungs-Anzeigen verschickt werden, unserer lieben Tante Bertha mit. Im April besuchen wir Euch. Nächsten Montag (an meinem 57.sten Geburtstage) wird die Familie M. bei uns sein. – Heinz, der M. seit 10 Jahren kennt, und der zu L. im nettesten brüderlichen Vetter-Verhältniß steht, freut sich sehr über die Verlobung.
– Mit herzlichsten Grüßen Dein treuer alter Bruder Ernst Haeckel.
a gestr.: die