Kurt Lassahn an Ernst Haeckel, Jena, 6. März 1902
Jena, den 6ten März 1902.
Gesuch
des cand. med. Kurt Lassahn
betr. die Verleihung eines
Stipendiums.
Hochgeehrter Herr Professor!
Hiermit gestatte ich mir gehorsamst das Gesuch zu unterbreiten:
„mir für das kommende Semester ein Stipendium aus der Mende-Stiftung gütigst gewähren zu wollen“
Zur Begründung dieser meiner Bitte erlaube ich mir folgendes anzuführen:
Ich bin Waise und habe meine beiden Eltern noch vor dem Beginn meines Studiums durch den Tod verloren. Das geringe Erbteil, das bei fünf Geschwistern auf mich fiel, ist durch meine Erziehung sowie durch den Zuschuß während meiner Militärdienstzeit verbraucht. Eigenes Vermögen besitze ich zur Zeit nicht, Verwandte, || die mich zu unterstützen in der Lage wären, habe ich ebenfalls nicht. Eine frühere jährliche Unterstützung eines Freundes meines Vaters von jährlich 300 M beziehe ich seit dem vor 1 ½ Jahren erfolgten Tod des Gebers nicht mehr. Meinen Unterhalt habe ich mir bisher teils durch Erteilen von Privatunterricht selbst erworben, teils stand ich im Genuß von Stipendien. Außerdem gewährt mir ein Freund eine Beihilfe zur Deckung der notwendigsten Ausgaben für Wohnung und Nahrung, doch erfolgt dieselbe weder in regelmäßigen Beträgen, noch habe ich einen rechtlichen Anspruch darauf. Außerdem bin ich verpflichtet, diese Unterstützungen, sobald ich dazu in der Lage bin, zurückzuerstatten. Der Gang meiner medicinischen Studien ist in Kürze folgender: Im Herbst 1898 bin ich in die medicinische Fakultät inscribiert worden. Das Tentamen physicum habe ich im März 1900 ohne Nachprüfung || bestanden. Seitdem besuche ich die zu meiner Ausbildung erforderlichen Kliniken und Curse. Um nachzuweisen, daß ich meinem Studium bisher mit Interesse obgelegen habe, verweise ich auf die anliegenden Zeugnisse.
Da ich nun im 9ten Semester und somit dicht vor dem Staatsexamen stehe, bin ich nicht mehr, wie früher, in der Lage, einen großen Teil meiner Zeit auf meinen eigenen Erwerb zu verwenden, ich bedarf daher dringend einer Unterstützung, wie sie ein Stipendium gewähren würde. Ich erlaube mir daher nochmals, meine Bitte um gütige Verleihung angelegentlichst zu empfehlen.
Gehorsamst
Kurt Lassahn
Kandidat der Medicin
Jena. Postgasse 4.
An
Se. Hochwohlgeboren
den Herrn Professor
Haeckel
in
Jena