Franz Meinecke an Ernst Haeckel, Eisenach, 30. März 1904
Eisenach, den 30. März 1904.
Sehr geehrter Herr Professor!
Im Vertrauen auf ihre menschenfreundliche Gesinnung wage ich es, mich mit einem Anliegen an Sie zu wenden, dessen günstiger Erfolg in Ihrer Hand liegt.
Nachdem ich auf dem Realgymnasium zu Eisenach das Zeugnis der Reife erhalten habe, habe ich die Absicht, auf der Universität Jena Naturwissenschaft und – meinem sehnlichsten Wunsche folgend – insbesondere Geologie zu studieren. Im vergangenen Sommer wandte ich mich an Herrn Prof. Walther in Jena mit der Bitte um Auskunft, indem ich ihm die Vermögensverhältnisse meiner Eltern darlegte, die nur bescheiden sind, da mein Vater Oberpostschaffner ist. Nachdem Herr Prof. Walther mich anfangs auf die Schwierigkeiten meines Vorhabens hingewiesen hatte, || ermutigte er mich dann aber und forderte mich auf, alle Kräfte für die Erreichung eines Zieles einzusetzen, das ich zu meiner Lebensaufgabe gemacht habe. Auch mein früherer Lehrer, Herr Dr. Liebetrau, hat mich stets mit seinem Rat unterstützt und mich ermutigt.
Diese Umstände sind Veranlassung gewesen, mich an Sie mit der Bitte um wohlwollende Berücksichtigung bei der Verleihung des Universitätsstipendiums für Studierende der Medizin und Naturwissenschaft zu wenden. Sie würden meinen Eltern und mir durch einen günstigen Bescheid eine große Erleichterung meines Studiums schaffen und zu der größten Dankbarkeit verpflichten. Als Zeugnisse habe ich mir erlaubt ein Vermögenszeugnis und die beglaubigte Abschrift meines Reifezeugnisses beizufügen.
Ihr sehr ergebener
Franz Meinecke.