Bartholomäus von Carneri an Ernst Haeckel, Marburg an der Drau, 3. März 1892
Marburg 3. März 1892.
Geliebter und verehrter Freund!
Todtgelacht habe ich mich über das neue Vieh, das heute beim Frühstück glücklich in meine Hände gelangt ist. Zwei Exemplare davon eilen heute noch in die Hände Berufener. Der Humor ist köstlich und für mich eine Bürgschaft, daß die schweren Wolken, die übrigens weit und breit sich ausdehnen, plötzlich verschwinden werden. Zedlitz hat für mich das Ärgste gesagt mit den Worten: „Es gebe keine menschliche, nicht auf Reli-||gion gegründete Moral.“ Mit Religionszwang und Kartätschen will man die sociale Frage lösen, mit Heuchlern und Leichen sie in ein befriedigendes Stadium bringen! Ein Jammer ist’s, und, wie die Menschen sind, kämen wir aus dem Jammer nicht mehr heraus, wenn die Wissenschaft nicht wäre, die den Gott wie den Teufel immer wieder überwinden wird.
Daß dem herrlichen Scherz keine Zeile von Eurer Eminenz höchsteigener Hand beiliegt – daß die Vervielfältigung an die lieben || Züge erinnert, macht das Ganze noch mehr zu einem Brief – sagt mir klar, daß der neuartige Cardinal sammt all seinen Lieben sich wohlbefindet. Darum füge ich gleich bei, daß es meinen Kindern gut und mir gut genug geht. Das ist für Sie, nichtwahr, wie das andere für mich, das Interessanteste.
Aus der Adresse sehe ich, daß Sie vergessen haben, daß ich dem Reichsrath nicht mehr angehöre. Aber im Mai bin ich durch ein paar Wochen in Wien, Hôtel Meissl, und wie ich den Tag meiner Abreise von hier weiß, theile || ich Ihnen denselben mit. Kommen Sie aber auch schon Ende April nach Wien, fragen Sie auf alle Fälle bei Meissl nach. Mir könnte nichts Schlimmeres widerfahren, als daß wir uns verfehlten, denn ich rechne darauf, Sie im Laufe dieses Jahres zu sehen.
In ein paar Wochen sende ich Ihnen etwas. Habe Einiges hinausgegeben; allein, bis so was erscheint, vergeht immer eine kleine Ewigkeit.
Mit dem besten Dank für die neue Dreifaltigkeit und dem herzlichsten Gruße Ihr
unwandelbar ergebener
B. Carneri