Paul von Ritter an Ernst Haeckel, Basel, 26. Mai 1886
Basel
8 Schärtlingasse
26 Mai 1886.
Sehr geehrter Herr Professor,
“Tante affettuose Grazie pelle belle e sontuose opere mandatomi.” Wie ich das Vergnügen hatte, Ihnen letzthin mitzutheilen, daß die Kiste mit den Büchern in perfectester Ordnung angekommen und mir in gleichem Zustande überliefert worden. – Die Verpackung der Bücher ist meisterhaft gewesen und beweist, daß Handel und Industrie in Deutschland im Schwunge sind. – Die schönen Prachtwerke und ihr herrlicher Inhalt haben mich schon bei ihrem Durchblättern mit unaussprechlicher Wonne erfüllt. – Wie viele Geheimnisse der Natur liegen da nicht entschleiert vor || unseren neugierigen Augen und wie stolz fühlt man sich Mensch zu sein. – Die Monographien über die Medusen, das Prachtwerk über die Arabischen Korallen, die charakteristische Handschrift von Charles Darwin, welche auf die Flüchtigkeit des Daseins zu deuten scheint und die mich ehrenden Dedicationen Ihrer eigenen Hand haben mich a verblüfft und gleichsam in den Staub geschlagen. – Diese unerwartet reichen Gaben erhielten aber eine besondere Weihe durch die denselben beigelegte schöne Photographie Ihrer || Person, welche ich sofort werde einrahmen lassen und deren Anblick mich zu edlen Handlungen entzünden soll. –
Empfangen Sie daher für alleb diese schönen Gaben meinen herzlichsten und wärmsten Dank mit der Versicherung, daß ich beim Lesen Ihrer schönen Werke an die Mühseligkeiten denken werde, womit jede große und ungewöhnliche Handlung im Lebenc umgeben zu sein pflegt. – Sie haben aber nicht für Einzelne der lieben Gattung des homo sapiens gearbeitet – Sie haben sich herabgelassen der ganzen || Menschheit nützlich sein zu wollen. – Sobald nach Virchow die Entwicklung des menschlichen Gehirns nur langsam fortschreitet, – so hätten wir noch Jahrtausende warten müssen, um die den Menschen entehrende Fessel des mittelalterlichend Dualismus abzustreifen. –
Herr Justizrath von Harnier reist morgen nach Weimar um Donnerstag in Audienz empfangen zu werden. –
Herr von Guyet beehrte mich mit einer Depesche folgenden Inhaltes: „Ihrem Wunsch entsprechend Audienz erst später.“ –
Da ich den Winter in Frankfurt a/M zu verbringen gedenke, so könnte diese Audienz vielleicht im November oder December 1886 stattfinden. – Je später, wie ich glaube, desto schicklicher, da die ganze Schenkungsangelegenheit gewiß nicht ohne Sensation in Berlin vorübergegangen ist.
Leben Sie wohl, hochgeehrter Herr, und genehmigen Sie die Versicherung meiner vorzüglichsten Hochachtung und Ergebenheit
Paul Ritter
a gestr.: glei; b eingef.: alle; c eingef.: im Leben; d eingef.: mittelalterlichen; e Text weiter am linken Rand von S. 1: Leben Sie … Paul Ritter