Paul von Ritter an Ernst Haeckel, Basel, 23. Mai 1888
Basel | 8 Schärtlingasse 8
23 Mai 1888.
Hochgeehrter Herr Professor,
Sie und der würdige Inhaber der Ritter-Professor Dr. Lang werden mir gewiß zürnen auf Ihre liebenswürdige Einladung zu der am 4. Mai 88 in Jena abgehaltenen öffentlichen Rede über phylogenetische Zoologie nicht sofort geantwortet zu haben und mich im Stillen deshalb mit Vorwürfen überhäufen. –
Sobald Sie aber erfahren, daß mir Ihre Einladung erst am 20. Mai 88 in Basel behändigt werden konnte, – so werden Sie Ihr Urtheil ändern, Gnade vor Recht ergehen lassen und mein unfreiwilliges Vorgehen mit gewohnter Nachsicht in Schutz nehmen.
Zu meiner ferneren Entlastung muß ich bekennen, daß mir die hohe Bedeutung des Tages an welchem || Gottes Macht, Weisheit und Güte im Lichte der Wissenschaft gepriesen werden sollte auch in der Fremde nicht entgangen war und ich mit spannender Begierde die Mittheilung erwartete, welcher unter den vielen den blöden Sinnen der Menschen verborgenen Argumenten der Natur der Lehrgegenstand sein sollte, welchen Dr. Lang für die öffentliche Rede a ausgewählt hatte. – Nach dem morphologischen Studium der Natur ist die Beleuchtung der sociologischen Frage des in der Natur vollendeten Lebens der Materie von tiefgehender Bedeutung für das Studium der socialen Entwickelung des Menschengeschlechtes. Das von Herrn Dr. Lang gewählte Thema über den Einfluß der festsitzenden Lebensweise auf die Thiere schließt sich ganz vortrefflich an den von ihm im vorigen Jahre in der Aula abgehaltenen Vortrag über die verschiedenen Entwickelungsweisen anb. – Ihren Vortrag über || die Siphonophoren habe ich mit hoher Wonne gelesen und muß mich wundern, daß die von Ihnen aufgestellten Medusen-Thiere 30 volle Jahre den blöden Sinnen namhafter Gelehrter verborgen blieb. – Überweisen Sie mir ein Exemplar des Lang’schen Vortrages, damit ich auch daran Vergnügen finden könne. Hier breche ich ab und erlaube mir Sie mit einem anderen Gegenstand zu beschäftigen wobei ich auf Ihre mir in vielen Stunden bewiesene Freundschaft, Nachsicht und Verschwiegenheit rechnen muß. –
Es handelt sich um die Einzahlung des Restes meines Legates an Jena im Betrage von 170/m RM, wozu Sie im Stillen den Boden zu ebnen hätten. – Die Realisirung des Capitals könnte nicht vor October geschehen, weil ich kein so großes Capital augenblicklich zur Disposition habe, aber die Sache noch bei Lebzeiten S. K. H. des Grossherzogs und seines Staatsministers in Ordnung bringen möchte undc wodurch Sie in die Verhältnisse versetzt || würden Polynesien zu besuchen und die unter der Umwälzung des ehemals dortd bestandenen Continents veränderte Fauna zum Zwecke Ihres wissenschaftlichen Studiums machen. –
Damit aber keine Neider erweckt würden, – so wünsche ich daß meine Einzahlung nicht in die Öffentlichkeit dringe, sondern in aller Stille und ohne jegliche Festostentation vor sich gehe. –
Sprechen Sie mit Seiner Exzellenz dem Herrn Staatsminister von Stichling darübere und theilen Sie mir seiner Zeit die Ansichten mit, welche Seine Exzellenz f auch von S. K. H. dem Grossherzog über diese Angelegenheit einzuholen hätte. –
Indem ich mich Ihrer lieben Familie auf’s Herzlichste zu empfehlen bitte, – zeichne ich mit freundlichen Grüßen und gewohnter Hochachtung
Ihr ergebener
Paul Ritter
a gestr.: sich; b eingef.: an; c eingef.: und; d eingef.: dort; e eingef.: darüber; f gestr.: und.