Paul von Ritter an Ernst Haeckel, Basel, 10. Juli 1888
Basel | Schärtlingassse 8
10tr Juli 1888./.
Hochgeehrter Herr Professor,
Die herrlichen chromolithographischen Tafeln aus dem Prachtwerke der Challenger-Expedition, wozu Sie die epochemachende Beschreibung der Siphonophoren geliefert haben, – habe ich erhalten und sage Ihnen für die mir geschenkte freundliche Erinnerung meinen herzlichsten Dank. –
Welche Fülle von Reichthum und Schönheit entfaltet sich nicht in dieser interessanten von Ihnen untersuchten Thierwelt und welche Befriedigung müssen Sie empfunden haben, durch Ihre veröffentlichte Medusen- oder Polypiden-Theorie || eine schneidige Wahrheit ins Leben gerufen zu haben? –
Diese nasse Thierklasse repräsentirt also in seinen diversen Gattungen alle Arten phylogenetischer Entwickelungsweisen und scheint dem unbekannten Weltgeiste als Muster für die spätera zu erschaffenden Ameisen- Bienen- und Hummel-Kolonien vorgeschwebt zu haben! Für die Bacteriologie und die Arzneikunde bietet das Studium der cenogentischen Entwickelung || von Lebensorganismen gleichfalls Interesse insofern sie zu den Geheimnissen der Mikrobenwelt den Vorhang zum Saїstempel lüftet. –
Aber auch Morphologie und Sociologie gehen dabei nicht leer aus und bieten vielesb Schätzenswerthe. –
Im künftigen Jahr werden Sie vielleicht Ihre schöne Reise nach Australien schon antreten können, weil der Naturforscher einem Zugvogel gleichen muss, welcher seine geistige Nahrung – in nah und fern zu suchen hat, um bei erweitertem || Gesichtsfelde scharf und richtig beobachten zu können. –
Mit freundlichen Grüssen, –
hochachtungsvoll.
Paul Ritter
a eingef. später; b gestr.: Vieles; eingef.: vieles