Carneri, Bartholomäus von

Bartholomäus von Carneri an Ernst Haeckel, Marburg an der Drau, 11. Juni 1890

Marburg 11. Juni 1890.

Hochverehrter und geliebter Freund!

Tausend Dank für den lieben Gruß mit dem so interessanten Bericht, von dem ich nur einen sehr flüchtigen Auszug kannte. Über Ihre Arretirungen, die ich brühwarm in der Neuen Freien Presse las, hatte ich eine stille Freude, weil ich gleich wußte, daß die Sache ohne alle Bedeutung war, und mich der stillen Hoffnung hingab, auf Ihrer Rückkehr Sie zu sehen. Nichts ist daraus geworden; aber, kaum in die Heimath zurückgekehrt, haben Sie meiner gedacht, und aus || ganzer Seele drücke ich Ihnen dafür die Hand.

Hoffentlich geht es Ihnen und all Ihren Lieben gut. Meine Kinder sind wohl. Fritzi, die Sie bestens grüßt, ist hier, und in ein wenig Tagen kommt Richard, der mit dem Admiral in Budapest bei den Delegationen ist. Ich bin gesund bis auf meine dummen Zustände, die immer schlimmer werden. Mit dem Gehen geht’s immer schlechter u. s. w. Allein die Laune leidet nicht darunter, und die Überarbeitung meines neuen Buches macht mich selig. In sechs oder acht Wochen frage ich mich bei Emil Strauss an.

Werden Sie’s glauben, daß ich von Preyer noch immer nichts || gehört habe. Die Frage, ob mein Gedanke brauchbar sei, kann ihn doch nicht beleidigt haben? In meinem neuen Buch kommt nichts vor, daß Ihnen nicht recht sein kann. Es behandelt nur die Lebensführung eines Menschen, für den es keinen Gott, keine Seele und keine Willensfreiheit giebt.

Unter Kreuzband erhalten [Sie] ein Buch von der kleinen Frau, die Sie in unserem Abgeordnetenhause kennen gelernt haben. In ihr steckt ein wunderbarer Humor. Presto prestissimo erscheint darin zum zweiten Mal. Aber auch alles andere wird Sie und die Ihrigen erheitern. In Scheveningen, auf der Rückkehr, erwähnt sie Ihrer.

Wir haben dies Jahr ein wun-||dervolles Wetter, das ich Ihnen wünsche. Je älter ich werde, desto heißer sehne ich mich nach der schönen Jahreszeit. Ich kann nicht mehr spaziren gehen, gar nicht mehr, aber ich habe beide Fenster offen und genieße das wie ein anderer eine Lustreise. Wie mein Haus gelegen ist, bin ich übrigens mehr auf dem Lande als in einer Stadt, abgesehen davon, daß Marburg wohl nur ein Städtchen ist.

Und nun leben Sie recht wohl, verbringen Sie sammt den Ihrigen den Sommer so gut als möglich und behalten Sie mich lieb.

Aus ganzer Seele in alter Treue

Ihr

B. Carneri

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
11.06.1890
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 4652
ID
4652