Carneri, Bartholomäus von

Bartholomäus von Carneri an Ernst Haeckel, Wien, 18. Februar 1889

Wien 18. Februar 1889.

Geliebter und verehrter Freund!

Mit dem ganzen Herzen theile ich Ihr Leid, in das ich mich vielleicht gerade darum, weil ich meine Mutter, die in Folge der Entbindung starb, nie gekannt habe, besonders lebhaft hineinlebe. Wie oft habe ich in meiner Jugend nach einer Mutter mich gesehnt, wie natürlich finde ich’s, daß ein solcher Besitz nie genug dauern kann, und daß eine solche Lücke durch nichts auf Erden sich auffüllen läßt. Und für uns giebt’s nur das „auf Erden“! Da giebt es nur Eine Erleichterung des Schmerzes, die ihn aber auch, sobald || die Zeit das Ihre gethan hat, in ein beglückendes Gefühl verwandelt: das Bewußtsein, das geliebte Wesen nach Kräften glücklich gemacht zu haben. Dieses Bewußtsein haben Sie, wie selten Einer es hat, und das tröstet mich. In meinem und meiner Kinder Namen drücke ich Ihnen die Hand. Das Herz hätte Ihnen gelacht, wenn Sie gestern Abend hätten hören können, wie wir von Ihnen sprachen.

Die Verbindung, in die Sie Ihren Verlust mit dem Schlag bringen, der Österreich getroffen hat, ist erschütternd, und wenn es auch nicht zum Äußersten kommt, die Sache wird von den Rückschrittlern nach Möglichkeit ausgenützt werden. „Das war der Mann || der Wissenschaft und so endet er“, – lautet die mit aller Perfidie des Zelotenthums ausgegebene Parole. Unser Eines giebt aber nicht nach.

Vielleicht würde sich’s schicken, daß ich für diesmal meinem Briefe nichts beilege. Allein unsere Freundschaft kennt solche Schicklichkeiten nicht. Ich weiß, daß ich darauf rechnen kann, daß Sie das Mitfolgende nur lesen werden, wann Sie Zeit haben und Ihre Stimmung darnach ist.

Warum ich den Essay nicht eher veröffentliche? Weil es mir nothwendig ist, früher zu wissen, ob Sie und Prof. Preyer die Gemeinempfindung, wie ich sie auffasse, zur Erklärung jener thierischen Thätigkeiten brauchen können, die ein bewußtes [!] || vorauszusetzen scheinen, für das es uns beim betreffenden Organismus an jedem Anhaltspunkt fehlt. Ich bitte Sie daher, mich Prof. Preyer bestens zu empfehlen, und ihm den Aufsatz zu lesen zu geben. Für mich hat der ganze Versuch nur einen Werth, wenn Sie zwei ihn verwerthen können. Endlich bitte ich Sie – aber auch das hat Zeit, soviel Sie wollen – mir zu sagen, in welcher Zeitschrift die Veröffentlichung am praktischsten wäre?

Wie Sie aus meiner Schrift ersehen, treibt’s mein Muskelkrampf wieder so arg, daß ich kaum mehr weiter kann. Aber er hindert mich nicht Ihnen im Geiste aus ganzer Seele die Hand zu drücken.

Ihr treuergebener

B. Carneri

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
18.02.1889
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 4644
ID
4644