Carneri, Bartholomäus von

Bartholomäus von Carneri an Ernst Haeckel, Marburg an der Drau, 15. Januar 1889

Marburg 15. Jänner 89.

Mein geliebter Freund!

Für die Freude, die Sie mir mit dem prachtvollen Geschenk gemacht haben, finde ich keine Worte. Zum Glück wissen Sie, daß ich es hochzuhalten weiß. Sie wissen aber auch, was Sie mir sind. Ich kenne keinen Mann, an dem ich so von Herzen hänge. Wie ein Kind freue ich mich auf den Sommer, wenn meine Kinder auf Urlaub hier sein werden, mit ihnen die bezaubernden Bilder durchzusehen. Es geht beiden gut. Ihre Neujahrsgrüße habe ich ihnen gemeldet, || und sie erwiedern [!] sie aus ganzer Seele. In 8–10 Tagen bin ich wieder in Wien.

Ihr lieber, lieber Brief vom 30. vorigen Monats ist mir ungesäumt von Wien hierhergesendet worden. Ich habe ihn nicht gleich beantwortet, einmal weil ich nicht gar zu rasch Sie wieder in Briefschuld versetzen wollte und dann, weil ich noch in Zweifel war, ob ich mich an eine kleine Arbeit machen, ob sie mir gelingen würde, von der ich hoffe, daß sie für Sie einen besondern Werth haben wird. Heute bin ich schon so weit, daß ich sie Ihnen ankündigen kann. ||

Es handelt sich um die Bewegungen z. B. eines Seesterns – ich wähle dieses Beispiel, weil dieser Turner seit einer Beschreibung Preyer’s mich unablässig verfolgt – Bewegungen, bei welchen man schwören könnte, daß eine Art Denken ihnen zum Grunde liegt. Ich hoffe, dieses Thun in einer Weise zu erklären, die nicht auf ein psychisches Moment, aber auch nicht auf bloße Mechanik zurückführt. Was mir vorschwebt, ist eine ächte Vorstufe des Psychischen.

Leider bin ich durch politische Dinge sehr in Anspruch ge- || nommen. Vielleicht schicke ich Ihnen nächstens einen Aufsatz über Deák, wenn die Neue Freie Presse ihn aufnimmt. Vielleicht auch frage ich mich von Wien aus bei Ihnen an, wo ich den angekündigten Artikel erscheinen lassen soll?

Empfehlen Sie mich bestens Prof. Preyer und sagen Sie ihm, daß ich immer das Gefühl habe, ihm gegenüber etwas gutmachen zu müssen. Möchten diese Zeilen Sie und alle Ihre Lieben im besten Wohlsein antreffen – ich bin immobiler als je, aber solang ich arbeiten kann, bin ich ganz zufrieden – bleiben Sie immer so gut und seien Sie der Liebe und Treue versichert Ihres dankbaren

B. Carneri

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
15.01.1889
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 4643
ID
4643