Carneri, Bartholomäus von

Bartholomäus von Carneri an Ernst Haeckel, Marburg an der Drau, 22. August 1887

Marburg 22. August 1887.

Hochverehrter und geliebter Freund!

Gleich hätte ich Ihnen für das freundliche und zugleich für mich sehr interessante Lebenszeichen gedankt, wenn ich nicht besorgt hätte, Sie dadurch zu recht ungelegener Zeit zu einem Briefe zu drängen. Sie schreiben mir immer, wenn Sie nur halbwegs können, u. ich stelle mir leicht vor, wie überbürdet Sie nach so langer Abwesenheit mit Arbeit sein müssen. Ein weiterer Grund meines Schweigens war, das mir das Augustheft der Deutschen Rundschau einen Aufsatz versprach, den ich Ihnen senden wollte. Das Augustheft kam, allein die Seperatabdrücke, deren Eintreffen ich für selbstverständlich gehalten hatte, kamen nicht. Es ist mir dies sehr unangenehm, weil ich den Artikel gar zu gern || einigen Freunden, die sich für die Sache warm interessiren, geschickt haben würde. Bei dieser Zeitschrift muß man, was ich nicht wußte, ausdrücklich um Seperatabdrücke bitten. Die Rundschau haben Sie bestimmt im Lesezimmer der Universität; werden Sie aber dazukommen, diesen etwas längeren Aufsatz zu lesen? Meiner Überzeugung nach kennzeichnet er den Punkt, der über die Wahrheit des Monismus entscheidet. Leider habe ich an einer Stelle Prof. Preyer mißverstanden und ihm durch a dieb unvollständige Wiedergabe Eines seiner Sätze – Sie können sich vorstellen wie sehr wider Willen – viel Verdruß gemacht. Mir blieb nichts übrig, als ihn zu bitten, mir dafür recht tüchtig den Kopf zu waschen.

Das alles ist aber nicht der Grund, aus dem ich heute schreibe. Mein Schwiegersohn hätte im kommenden Monat auf 1 1/2 Jahr eingeschifft werden sollen. Fritzi machte das nicht unglücklich; sie hat ihn ja auf diese Eventualität hin geheirathet u. ist ein gescheutes Weib; aber || recht froh sind wir doch alle, daß aus der Einschiffung nichts wird, u. er weitere drei Jahre in Wien bleibt. Mir ist das besonders darum sehr lieb, weil ich diese Zeit über gewiß noch dem Reichsrath angehöre, und viel mit den Kindern sein kann. Sie sind jetzt auf Urlaub hier, bleiben bis Ende August, und bitten mich beide, Ihnen ihre herzlichsten Grüße zu entrichten, der Sie gewiß an unserer Freude den wärmsten Antheil nehmen. Damit grüße ich Sie bestens in dankbarster Anhänglichkeit

Ihr

treuergebener

B. Carneri

Haben Sie Presto-Prestissimo noch nicht gelesen, so lesen Sie’s in einer freien Stunde; es wird Sie sehr erheitern.

a gestr.: von; beingef.: die

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
22.08.1887
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 4639
ID
4639