Carneri, Bartholomäus von

Bartholomäus von Carneri an Ernst Haeckel, Marburg an der Drau, 1. Januar 1887

Marburg a. D. 1. Jänner 1887.

Hochverehrter und geliebter Freund!

Ihr lieber, lieber Brief vom 27. vorigen Monats hat mit seinem unschätzbaren Angebinde, aus dem Ihr ganzes Herz spricht, mich tief gerührt, und ich weiß wirklich nicht, wie ich Ihnen dafür danken soll. Ich habe nichts als meine Anhänglichkeit; aber deren können Sie versichert sein, solang ich lebe.

Die Aussicht, im Februar mit Ihnen zusammen zu treffen, freut mich rasend. Am 25. oder 26. Dieses gehe ich nach Wien und bleibe mindestens || bis Ostern dort. In Gratz bin ich nun mehr ganz selten und höchstens auf ein paar Tage. Mit der Verheirathung Fritzi’s ist Marburg mein ständiger Aufenthalt, u. mein Landtagsmandat habe ich nach einem Vierteljahrhundert rastloser Pflichterfüllung mit gutem Gewissen niedergelegt. Das Reichsrathsmandat genügt meinen politischen Bedürfnissen über und über. Fritzi ist jetzt in Wien und bleibt noch längere Zeit dort. Sie finden sie also auch in Wien, und sie wird glücklich sein, Sie wiederzusehen. Erst kürzlich schrieb sie mir, ja nicht zu vergessen, in meinem nächsten Briefe Ihnen ihre Grüße zu entrichten.

Sie wissen wohl schon durch Prof. Preyer, || in welch liebenswürdiger und für mich unschätzbarer Weise er sich mir genähert hat. Auch er dürfte in Kürze nach Wien kommen und mir die Freude, ihn persönlich kennen zu lernen, zu Theil werden lassen. Seit Wochen lebe ich ganz in seiner Physiologie, und vielleicht erfahren Sie nächstens durch ihn, ob ich Hoffnung habe, etwas für die positive Wissenschaft Brauchbares zu leisten. Empfehlen Sie mich ihm vorläufig recht warm.

Von Ihren neuesten Triumphen in Berlin wußte ich bereits durch Prof. Vetter, der mir mit Begeisterung davon geschrieben hat. Von welchem Werth dies für mich war, können Sie sich leicht || vorstellen. Mit Ungeduld sehe ich den Details entgegen, die ich aus Ihrem Munde hören werde.

Den beiliegenden „Kosmos“-Artikel ganz zu lesen, finden Sie gewiß nicht die Zeit. Darum bitte ich Sie, S. 328–335 durchzufliegen und zwar wegen der Ceylon Erinnerung u. weil Sie die Abfertigung Du Prel’s gewiß freut. Das Feuilleton aus der Neuen Freien Presse lege ich Ihnen warm an’s Herz. Ich habe damit unsern Tschechen tief in die Seele gegriffen. – Zum neuen Jahr alles Erdenkliche!

Und nun leben Sie recht recht wohl; nochmals den innigsten Dank und wie ein Kind mich freuend auf den nächsten Brief

Ihr

treuergebener

B. Carneri

Bei der Ritter-Stiftung lachte mir das Herz.a

a Text auf dem Kopf von S. 4, um 180° gedreht: Bei der … das Herz.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
01.01.1887
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 4635
ID
4635