Carneri, Bartholomäus von

Bartholomäus von Carneri an Ernst Haeckel, Graz, 13. April 1884

Gratz 13. April 1884.

Geliebter und verehrter Freund!

Auf vierzehn Tage bin ich hier und muß am 23. dieses wieder nach Wien auf weitere 4 Wochen. Dann bin ich bis zum Herbst den Parlamentarismus los, und freue mich jetzt schon auf ein stilles Arbeiten. Hoffentlich sind Sie bald mit der Ordnung und Aufstellung Ihrer Sammlungen fertig. Seit meiner Übersiedelung habe ich eine heilige Scheu vor allem in’s Großartige gehenden Ein- und Auspacken. Zu Ihrer Beruhigung kann ich Ihnen übrigens sagen, daß wir uns beide, Fritzi wie ich, hier sehr wohlfinden, und schon || gänzlich in unser neues Heim uns eingelebt haben.

Vor ein paar Tagen habe ich einen Kosmosartikel corrigirt, der Ende Mai erscheinen dürfte und den Ihnen seiner Zeit zu senden mir jetzt schon ein freudiger Gedanke ist. Wenn ich nahe an 30 solche kleine Abhandlungen beisammen haben werde, gedenke ich sie in einem Band herauszugeben, und da wird sich’s zeigen, daß zwischen dem Monismus und Determinismus aus dem Boden der Entwickelungslehre eine Menschenwürde emporwächst, die alle ihre bisherigen Formen weit überstrahlt.

Der Tod unseres wackern Deubler hat auch Sie gewiß recht schmerzlich berührt. Glücklicher Weise soll er nicht lange gelitten haben.

Und nun eine Anfrage, die Sie aber, falls Sie zu sehr beschäftigt wären, mit || einer Correspondenzkarte, d. h. mit dem einfachsten Nein oder Ja beantworten können. Sie erinnern sich noch der Tochter des Jenenser Professors Lehmann. Sie hat nach Galizien geheirathet, lebt aber getrennt von ihrem Mann, einem sehr liederlichen Herrn von Olszewski, mit einem Söhnchen und ihrer sehr leidenden Mutter in Italien. Sie ist eine ungewöhnlich begabte Person und würde sich gerne mit ihrer gar nicht übeln Feder – sie schreibt deutsch, italienisch, französisch und polnisch gleich brillant – etwas verdienen. Würden Sie ihr gestatten, Ihre Ceyloner Briefe in’s Polnische zu übersetzen?

Und nun von Fritzi u. mir die herzlichsten Grüße und in unwandelbarer Treue Ihr

B. Carneri

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
13.04.1884
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 4625
ID
4625