Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Jena, 29. Juni 1861

Jena 29. 6. 61.

Meine liebe, liebe Mutter!

Diesmal kann ich Dir wieder nur aus der Ferne meinen Glückwunsch zu Deinem Geburtstage senden, den ich Dir so gerne selbst mündlich darbrächte. Darum kommt er aber nicht weniger innig und herzlich zu Dir. Von ganzem Herzensgrunde wünscht Dir Dein treuer Junge ein recht glückliches und segensreiches neues Lebensjahr. Vor allem wünsche und hoffe ich, daß Du endlich wieder ganz gesund wirst und daß die bösen Flechten oder was Dich sonst noch krank macht, aufhören werden, Dich zu quälen. Ich denke, das neue, gesunde Quartier wird in dieser Hinsicht seinen besten Einfluß üben. Hoffentlich wird die Badereise alle Reste des Übels wegnehmen, damit Du, wenn ich Dich im Herbst wieder sehe, wieder ganz unsere liebe, frische und gesunde Alte bist. Wie gern möchte ich Dir zu baldiger, völliger Genesung helfen! Bleibt nur möglichst lange in Schlesien! Ich glaube, daß diese Luftveränderung Dir am Allerbesten thun wird! Die Berliner Atmosphäre ist, besonders im Sommer, gar zu schlimm. Ist denn schon das Bad, wohin ihr gehen werdet bestimmt. Ich würde für bei weitem am gerathensten ein Schwefelbad halten. Was meint Qincke dazu? ||

Übers Jahr kannst Du Deinen Geburtstag vielleicht Hier feiern. Hoffentlich hat dann Dein Junge sein kleines Professorsnest in dem reizenden Saalthale schon gebaut und ihr könntet ihn bereits besuchen. Das wäre wirklich allerliebst! Ich muß so oft daran denken, wie sehr es Vater und Dir Hier gefallen würde. Die Gegend ist zwar nicht großartig; aber die Bergformen sind reizend schön und das ganze Thal so idyllisch, wie das ganze hiesige Leben. Bis jetzt habe ich alle Erwartungen die ich mir von dem hiesigen Leben machte, bestätigt und zum großen Theil übertroffen gefunden. Das ganze ruhige idyllische Stillleben ist so beschaffen wie ich es mir von jeher gewünscht habe und noch habe ich bisher keinen anderen Ort gefunden, wenigstens keine Universitätsstadt, in der ich so gerne mein ganzes übriges Leben zubringen möchte. Für mich speciell, mit meiner Vorliebe für die Natur, und Abneigung gegen viel Menschenverkehr, ist dieses Leben wie geschaffen und Du kannst kaum denken, wie nett alles Einzelne sich zusammenfügt. ||

Ich möchte Dir so gern zu Deinem Geburtsfeste eine rechte Freude machen, liebste, beste Mutter. Was aber die materiellen Geschenke betrifft, so ist Dir da ja gar nicht beizukommen; auch wüßte ich in der That nicht, mit welchem Gegenstande ich Dich erfreuen sollte. Deine Hauptfreude ist ja immer, wie Du selbst sagst, das Glück Deiner Kinder gewesen, und da kann ich Dir denn allerdings diesmal eine große Freude machen, wenn ich Dir sage, daß ich mich noch nie so wohl, glücklich und zufrieden fühlt habe, wie jetzt Hier. Mit der ersten festen Ansiedelung nach den langen Lehr- und Wanderjahren ist der erste Schritt zu einer Laufbahn gethan der erste Grundstein zu einem Gebäude gelegt, welches unter den vielfachen Modificationen des menschlichen Daseins und Wirkens gewiß einea der schönsten und genußreichsten ist. Ich betrachte es allerdings als ein sehr großes Glück, daß grade der Anfang meiner akademischen Laufbahn so vom Glück begünstigt wird. Aller Anfang ist ja schwer, und doppelt schwer bei einer solchen Laufbahn, die ja neben dem Lohnenden und Beglückenden auch so viel des Unsicheren und Zweifelhaften mit sich bringt, und deren Erfolg trotz aller Mühen so sehr dem glücklichen Zufall anheimfällt. ||

Mit diesem Anfang, vor dem ich mich so lange und so sehr gefürchtet hatte, kann ich aber nun in der That aufs beste zufrieden sein. Kaum wäre mir dies wo anders so geworden. Mit dem freien Vortrage im Colleg, den ich natürlich ganz frei halte, gehts von Tage zu Tage besser und ich habe an der Mehrzahl meiner Zuhörer (von 9 kommen gewöhnlich 6-7) sehr fleißige Studenten. Die Thätigkeit selbst macht mir sehr viel Freude. Das einzig Schlimme ist, daß ich nicht viel an den Radiolarien thun kann, welche ich nun erst im Herbst werde vollenden können. Ich arbeite im Ganzen sehr viel und trage dabei doch für meine Körperausbildung mehr Sorge, als je zuvor, was mir durch die hiesige glückliche Lage, die geringe Entfernung der Localitäten etc möglich wird. Schwimmen und Turnen (oft auch Spazieren gehen) wird fast keinen Tag versäumt und ich befinde mich sehr wohl dabei. Überhaupt sagt mir die Regelmäßigkeit dieses zugleich friedlich stillen und lebhaft geistig thätigen Lebens sehr zu. Ich habe das glückliche Gefühl eines Kaufmanns, der nach vielfachen Irrfahrten mit Schätzen reich beladen an das heimische Gestade glücklich zurück gekehrt ist und nun im sicheren Heimath- Hafen die gesammelten Schätze verarbeitet

– Denke am 1 Juli auch an diesen Deinen glücklichen zufriedenen Jungen, liebste Mutter, der mit der innigsten kindlichen Liebe an Dir hängt, Dein treuer E.

‒ Nochmals alles Glück und beste Gesundheit im neuen Jahr.

a korr. aus: eines;

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
29.06.1861
Entstehungsort
Entstehungsland
ID
46121