Crompton, Ella von

Ella von Crompton an Ernst Haeckel, Groß Brütz, 21. November 1917.

E. V. CROMPTON | JAGDHAUS GR. BRÜTZ | BEI SCHWERIN I. M.

POST WITTENFÖRDEN | 21.XI.17.

Hochverehrte Excellenz,

mit allerherzlichstem und aufrichtigstem Dank empfing ich, lieber, guter Herr Geheimrat, Ihr liebes Paket, nebst Ihren lieben, guten Zeilen.

Auf die eingehende Lektüre der „Krystallseelen“ freue ich mich schon unbeschreiblich und hoffe sehr darauf auf den nächsten Sonntag „Totenseelensonntag“, die mir zu „Allerseelen“ gütigst gespendeten „Krystallseelen“ lesen zu können.

Auch herzlichsten Dank für die 6. Aufl. der Anthropogenie – sowie die anderen Schriften.

Besonders jedoch noch für die Weihnachts-||freude für mein liebes, kleines Trautchen, der ich davon etwas von Ihnen unter das Weihnachtsbäumchen legen werde; das Andere jedoch für sie sparen. Die Zeiten werden immer böser und härter und da freue ich mich so, daß ich ihr etwas zu dem „Porträt-Geld“ „Honorar“ von Ihnen zulegen kann. Denn das habe ich für Trautchen ganz zurückgelegt. Ich war damals so besonders froh darüber, da ich s. Zt. ihr Erspartes angreifen mußte, und ihr doch nun wenigstens wieder etwas zurückerstatten konnte. Mein ganzes Streben geht doch blos dahin, dem kleinen Ding mal etwas für die Zukunft zu sichern – – – –

Ich bin so glücklich, daß es Ihnen verhältnismäßig gut geht; was machen denn Ihre schönen Aquarelle. Eben habea ich mir am „Buß u. Bettag“ die Freude ½ stündigen || Anschauens Ihrer schönen Aquarelle, besonders das Hohentwiel gegönnt –

Einliegend sende ich Ihnen ein kleines Erlebnis mit Trautchen – vielleicht freut es Sie ein bischen, daß Sie dadurch das rege, wißbegierige, kleine Persönchen näher kennen lernen, auch, daß sie durch die Kenntniß Ihrer lieben, kleinen Radiolarien zu dem rechten Unsterblichkeitsglauben kommt. Am Sonntag war unser lieber, kleiner Dackel nämlich gestorben (ein sehr großer Verlust für und, da wir nun in unserem einsamen Waldhaus ohne Wächter sind) dies gab in ihrem Köpfchen eine große Lücke, das da ein Geschöpf gewesen, mit dem sie immer gespielt, und das es nun mit einmal nicht mehr da sein sollte, einfach begraben – – –

Nun ist sie wieder froh, in dem Gedanken, daß Ihre Radiolarien immer leben u. wachsen und leuchten …… || Wenn sie größer ist, will sie auch zu Onkel Haeckel hinfahren u. ihn bitten, ihr Alle, Alle zu zeigen. Ihr Papa mußte ihr Abends gleich auf dem Atlas zeigen, wie sie „Halle – Jena“ fährt – Ja, es ist ein drolliges, wißbegieriges Geschöpfchen, das jedes Wort aufschnappt und behält und vor Allem – die richtigen Schlüsse zieht.

Beifolgendes, kl. Bildchen zeigt sie Ihnen, wie gesammeltes Holz nach Hause schleppt zum Brotbacken –

Doch nun, hochverehrter, lieber, guter Herr Geheimrat, leben Sie herzlichst wohl, Alles Gute und Liebe – eine schöne Empfehlung von meinem Manne, ein süßes Kindchen von Kl. Trautchen grüßt Sie und dankt Ihnen nochmals von Herzen

stets Ihre Sie so hochverehrende, Ihnen treu und innig dankbar ergeben

Elli von Crompton

[Beilage:]

Radiolarien-Märchen

von Elli von Crompton

Heute Nacht tobte der Sturm herbstlich und arg um unser stilles Waldhaus.

Oft glaubte man die Schwerter klirren, die Pferde wiehern zu hören von Wotan’s wilder Jagd, die mit Hundegebell und Hundeklang durch den mitternächtigen Wald zog.

Am Morgen war das ganze spukhafte Treiben verschwunden, der Sturm hatte ausgetobt und dichte, weiße Schnee-bFlocken rieselten unaufhörlich leise herab und deckten allmählig Alles zu – Weg und Steg, Gruben und Brücken, Häuser, c Bäume, Wiesen und Felder.

Mein kleines Trautchen drückte ihr Näschen gegen die Fensterscheiben und sah eifrig dem lautlosen Treiben draußen zu, jauchzte auf, wenn ein Flöckchen gegen die Scheiben fiel und erzählte mir wichtig von Frau Holle, die oben ihre Betten ausschüttelte und daß dann die Menschen auf der Erde sagten „Es schneit“.

Plötzlich schrie sie mit ihrem hellen Stimmchen laut auf: „Mama, das sind ja garkeine Federchen, das sind ja lauter Sternchen“ – „schütten die die Englein herunter für Weihnachten?“

Nun ging’s an ein eifriges Fragen und Erzählen. Ich öffnete das Fenster und ließ auf ihr kleines Händchen ein paar Flocken fallen, zeigte ihr die verschiedenen köstlichen Formen.

Da – hatte sie mit einmal immer noch ein paar Tropfen Wasser in ihrem Patschchen. Betrübt sagte sie: „Sind die Himmelssternchen nun gestorben?“ Und ratlos u. verwirrt sahen mich || ihre blauen Kinderaugen an. Dies große Rätsel verstand ihr Kinderköpfchen noch nicht, doch drückte es ihr kleines Herzchen ab. Da ließ ich sie ihr Händchen draußen am Fenster abschütteln und erzählte ihr, daß die Sternlein nicht gestorben wären, nur verwandelt, daß das Wasser, das von ihnen übrig geblieben, die Blumen und Pflanzen nun draußen tränkte, daß sie im Frühling wieder neue Blüten und Blätter treiben könnten, daß „Sterben“ und „Tod“ ein hartes Wort wäre, es gäbe nur ein ewiges „Werden u. Vergehen“.

Ein Weilchen war sie beruhigt, dann zog sie ein „Schüppchen“ und „Die Sternchen sollen aber für Weihnachten bleiben und nicht zu Wasser werden.“ Da nahm ich meinen kleinen Liebling auf den Schoß. „Weißt Du noch, liebes, kleines Trautchen, als wir im Sommer in Arendsee an der Ostsee waren und Du Muschelchen und kleine Steinchen am Strande suchtest. Als Du hernach mit Deinen nackten Füßchen in’s große Wasser liefst und jauchztest, wenn die Wellen kamen und um Deine kleinen Beinchen spielten. Besinnst Du Dich noch auf die große Ostsee?“

„Nun siehst Du, wenn nund die kleinen Schneeflockensterne auf das große Meer fallen, sinken sie gleich unter, bleiben dort in der unendlichenTiefe. Denn weißt Du, unten auf dem Meeresgrund sind wundervolle Gärten und Wälder. Da wachsen herrliche Korallenbäume, köstliche Blumen blühen, die Wege sind alle hübsch ausgelegt mit hellem leuchtendem Bernstein, – so wie Dein Halskettchen ist. Nun fallen die Sternlein herunter || auf die bunten Korallene Bäume und putzen so die Weihnachtsbäumchen aus. Sie leuchten und wachsen zu echten, schönen Weihnachtssternen.

Und die großen und kleinen Fischlein, Krebse, Medusen und Quallen, die in der Tiefe hausen, und kein Licht und keine liebe Sonne kennen, kommen hurtig herangeschwommen, um das liebe Weihnachtswunder zu bestaunen.

Für jedes Tierlein ist eine Überraschung und Weihnachtsfreude da. Guck mal her, innig liebes, kleines Trautchen, in diesem schönen Bilderbuch hat Dein lieberf Patenonkel Haeckel all die vielen Sternchen gezeichnet und gesammelt, die dort unten auf dem Meeresgrund den Fischlein für Weihnachten beschert werden und weißt Du, wie die Himmelssternlein heißen: „Radiolarien!“

Ganz andächtig und richtig sprach das kleine Geschöpfchen den fremden Namen nach und konnte nicht genug staunen und bewundern.

Der kleine Finger zeigte eifrig, das kleine Mündchen stehtg nicht still –

„Die schöne „Krone“ ist für das verzauberte Prinzlein und dies „Püppchen“ im Spitzenkleid für das Prinzeßlein dort unten –“

Die Ritterrüstungen, Lanzen, Speere, Orden, Helme, Laternen. Schmucksachen teilt sie freigebig an das kleine Volk der Tiefe aus.

„Mama, die bleiben dort unten immer lebendig, die zerfließen nicht, die wachsen immer weiter und schöner?“ Auf meine bejahende Antwort bekommt sie ein hochrotes Köpfchen: „Da || möchte ich nur immer mit Radiolarien spielen und sag mal, Onkel Haeckel ist wohl der Weihnachtsmann? Er soll mir welche zum Spielen schicken für Weihnachten!“ „Wenn ich ihn aber so recht bitte?!“ – – – – –

a korr. aus: falls; b eingef.: Schnee-; c gestr.: u. u.; d gestr.: du; eingef.: nun; e eingef.: Korallen; f eingef.: lieber; g korr. aus: stand

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
21.11.1917
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 4549
ID
4549